
Eigentlich hatte ich gar nicht vor, auf dieser Reise nach Pakistan zu fahren. Durch verschiedene Ereignisse musste ich meine Route anpassen und bin nun doch in Pakistan. Obwohl ich mich maximal 2 Wochen im Land aufhalten werde, wird die Zeit hier meine Reise vermutlich am Stärksten prägen.
Die Gegensätze zu den vorher besuchten Ländern, insb. Japan und Südkorea, aber auch zu unseren europäischen Ländern, können größer nicht sein. Im Zuge meiner „Großen Asienreise“ vor 8 Jahren war ich bereits für einen Monat in Pakistan. Mir ist daher durchaus bewusst, was mich erwartet. Doch erneut komme ich aus dem Staunen nicht heraus – in vielerlei Hinsicht. Beim Reisen durch Pakistan treffen ganz unterschiedliche Eindrücke aufeinander: überwältigende Gastfreundschaft der Einheimischen, Leben in absoluter Armut, katastrophale Umweltbedingungen, Pakistans Geschichte und die Relikte aus der britischen Kolonialzeit, politische Instabilität. Neben diesen beeindruckenden Erlebnissen braucht es zudem ein besonderes Augenmerk für die eigene Sicherheit beim Reisen.

Hintergrund: Warum ist Pakistan so wie es ist?
Pakistan genießt nicht den besten Ruf hinsichtlich der Sicherheit im Land. Die Sicherheitslage wird von unterschiedlichen, teilweise voneinander unabhängigen Konflikten bestimmt. Dadurch sind die Risiken regional sehr verschieden ausgeprägt. Auch vor meiner Reise erkundige ich mich im Detail, u.a. bei Freunden vor Ort, in welche Regionen ich derzeit reisen kann und welche ich meiden sollte.
Region Balochistan
Der Konflikt in der westlichen Provinz Balochistan sorgte erst kürzlich wieder für Entsetzen: Mit einer Anschlagsserie gegen staatliche Einrichtungen und Zivilisten aus anderen pakistanischen Provinzen schaffte es die Balochistan Liberation Army (BLA) Anfang September, Pakistan weltweit in die Schlagzeilen zu bringen. Ziel der Terroristen ist die Unabhängigkeit dieser Provinz vom restlichen Pakistan. Unklar ist, welche Vorteile sich die Terroristen davon erhoffen: Balochistan besteht weitgehend aus Wüste und unfruchtbaren Bergen und ist daher bei der Lebensmittelversorgung in hohem Maße vom Rest Pakistans abhängig. Rohstoffe als eigene Finanzierungsquelle könnten ein Grund sein. Pakistanis hingegen mutmaßen, dass die Terroristen gezielt durch Indien finanziert werden, um Unruhe im Land zu stiften und für Instabilität sorgen. Diese Vermutung ist durchaus nachvollziehbar: Balochistan macht einen erheblichen Teil von Pakistans Landfläche aus, so dass eine Abspaltung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Land schwächen würde.
Region Kashmir
Der Konflikt, der eigentlich regional ausgetragen wird, aber auf das gesamte Land sowie seine Nachbarregionen ausstrahlt und der Nukleus für zahlreiche Missstände in Pakistan ist, ist der um Kashmir. Um diesen zu verstehen ist ein kleiner Rückblick sinnvoll.
Kashmir war – wie mehrere anderen Regionen während der britischen Kolonialzeit – ein Princely State, demnach ein souveränes Gebiet innerhalb des British Indian Empires, das nicht durch die Briten verwaltet wurde. Nach dem Ende der britischen Kolonialzeit hatten die Princely States die Wahl, unabhängig zu bleiben oder sich Pakistan anzuschließen. Fast alle Princely States schlossen sich Pakistan an, insb. um zu vermeiden, „Inseln“ im neuen Staat zu sein, die einen einfachen Handel erschweren.
Die einzige Ausnahme war Kashmir: Dieses schloss sich Pakistan nicht an, da der Prinz vom Glauben Hindu war. Ein Anschluss an das muslimische Pakistan verbot sich daher. Allerdings war die Bevölkerung Kashmirs weitgehend muslimischen Glaubens und hätte einem Anschluss an die Islamische Republik Pakistan vermutlich sogar zugestimmt.

Situation in Kashmir heute
Kashmir ist heute zweigeteilt: Der westliche Teil wird von Pakistan gehalten, der östliche von Indien. In beiden Teilen ist die Bevölkerung weiterhin weitgehend muslimisch geprägt. Ein Referendum zum Status von Kashmir war geplant, wurde aber nie abgehalten. Wegen des seit mehreren Jahrzehnten anhaltenden Konflikts und der einhergehenden Müdigkeit wird gemutmaßt, dass die Bevölkerung mittlerweile weder für einen Anschluss an Pakistan, noch an Indien stimmen würde – sondern für ein unabhängiges Kashmir.
Der Konflikt um Kashmir ist auch ein Grund für die atomare Aufrüstung von Pakistan und Indien. Zur Verteidigung Kashmirs gehen enorme finanzielle Mittel an das pakistanische Militär. Mit dieser mächtigen Finanzierung im Rücken ist das Militär die Macht, die das Sagen in Pakistan hat. Die eigentlich demokratisch legitimierte Politik ist nur ein Spielball des Militärs – wer in Missgunst fällt, hat kaum einen Chance, Wahlen zu gewinnen. Sehr deutlich lässt sich das an den Entwicklungen der letzten Jahre beobachten. Bei der letzten Wahl fiel der prominente und beliebte Politiker Imran Khan durch, obwohl seiner Partei sehr gute Chancen vorhergesagt wurden, die Wahl zu gewinnen. Schlimmer noch: Gegen ihn wurde Anklage wegen diverser Straftaten erhoben und Khan zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Weitere Politiker seiner Partei wurden ebenso auf Grundlage absurder Vorwürfe festgenommen. Ironischerweise passierte vor einiger Zeit das Gleiche mit der Partei, die derzeit Pakistan regiert. Das Militär hält die Machtzügel fest im Griff und nutzt Kashmir als Druckmittel: Schwindet die Finanzierung, fällt Kashmir und damit ein vermeintliches Bollwerk gegenüber Indien!
Absurd ist die Situation deshalb, weil die Bedeutung von Kashmir, sowohl hinsichtlich seiner Größe als auch in Bezug zur wirtschaftlichen Gesamtleistung Pakistans gering ist. Der Streit um Kashmir hält somit ein ganzes Land mit über 240 Mio. Menschen gelähmt.

Leben am Existenzminimum
Nach diesem geopolitischen Exkurs zurück zu meinen Beobachtungen auf meiner Reise: Auf der Fahrt durch Pakistan staune ich auch darüber, dass sich seit meinem Besuch vor 8 Jahren so gut wie nichts geändert hat – und wenn doch, dann eher zum Schlechten. Stromausfälle über mehrere Stunden sind an der Tagesordnung, Generatoren sind in öffentlichen Einrichtungen und im gehobenem sozialen Milieu selbstverständlich. Die Eisenbahn ist nach wie vor auf dem Stand des vorletzten Jahrhunderts und wird auf Verschleiß gefahren. Mehrmals im Jahr gibt es Unfälle mit vielen Toten. Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass kaum Wert geschaffen wird, sondern versucht wird, mit dem wenigen Vorhandenen das Alte zusammenzuhalten. Ganz offensichtlich kommt infolge von Korruption öffentliches Geld nicht dort an, wo es dringend benötigt wird.
Nicht verwunderlich sind in diesem Zusammenhang auch die höchst bedenklichen Umweltbedingungen: Abwässer werden ungefiltert in die Umgebung geleitet, Kläranlagen gibt es nicht. Gerade beim Überqueren von Flüssen und Bächen ist der Gestank bestialisch.

Gleiches betrifft die Müllentsorgung und Weiterverwertung – diese ist vielerorts nicht existent. Plastikmüll und -Tüten übersäen Städte, verseuchen Flüsse und sind omnipräsent. Eine Ausnahme bilden Plastikflaschen: Weil sich damit ein paar Rupees verdienen lassen, werden diese u.a. von Kindern gesammelt.

Mehr Kinder als Erwachsene
Als ob diese Herausforderungen nicht reichen, hat Pakistan zudem (weiterhin) mit einem massiven Bevölkerungswachstum zu kämpfen. Familien mit 5-10 Kindern sind keine Seltenheit. Dementsprechend jung ist die Bevölkerung – die zahlreichen Kinder in der Öffentlichkeit machen deutlich, dass die Altersstruktur eine ganz andere ist als die in den westlichen Ländern.
Pakistanische Herzlichkeit
Wer durch Pakistan reist, kommt mit Einheimischen schnell in Kontakt. Das Interesse an Gästen ist riesig. Gefragt werde ich zum Beispiel, woher ich komme und warum ich nach Pakistan reise. Neugierig sind die Einheimischen auch darüber, wie ich Pakistan finde, welche Orte ich in Pakistan schon angeschaut habe. Gerne geben Einheimische Tipps, welche Sehenswürdigkeiten in Pakistan ich nicht missen sollte. Eine Gepflogenheit hat sich auch seit meinem letzten Besuch vor 8 Jahren nicht geändert: Am Ende eines Gesprächs heißt es sehr häufig „Welcome to Pakistan!“ – untersetzt mit einem netten Lächeln.
Seinesgleichen sucht die Gastfreundlichkeit der Pakistanis: Fremde Menschen beschenken mich und kaufen mir bspw. im Zug Wasser und Knabbersachen. Gerne erinnere ich mich an die Situation, als der Kleinbusfahrer an seiner Endstation die Annahme meines Fahrtgeldes verweigert. Stattdessen lädt er mich in seinem Fahrzeug zum Tee ein, bringt mich dann zum Anschlussbus, organisiert dort meine Mitfahrt und bezahlt auch diese. Selbstlos werde ich hier eingeladen – obwohl diese Ausgaben einen nicht unerheblichen Teil seines Tagesverdiensts ausmachen.

Mein Fazit
Die Eindrücke auf meiner Reise durch Pakistan sind häufig beeindruckend und bedrückend zugleich. Gerade deshalb ist Pakistan ein unglaubliches Reiseabenteuer – und das außergewöhnlichste auf meiner Reise. Ich würde trotz dieses schwierigen Reiseumfelds auf jeden Fall wieder nach Pakistan reisen, gerade um noch mehr darüber zu erfahren, wie die Menschen ihr Leben in diesem kaum vorstellbaren Umfeld meistern.
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Du willst mehr zu Pakistan wissen? Während meiner „Großen Asienreise“ im Jahr 2015/16 habe ich bereits sehr viel Spannendes über Pakistan berichtet. Folgende Berichte habe ich veröffentlicht:
- Von der iranisch-pakistanischen Grenze nach Quetta
- Aufenthalt in Quetta
- Von Quetta nach Rawalpindi bzw. Islamabad
- Menschen und Religion in Pakistan
- Islamabad und Umgebung
- Meine Pakistanische Hochzeit
- Leben wie ein Prinz – bei den Prinzen
- Sicherheit und Terrorismus in Pakistan
- Kreuz und quer durch Pakistan: Peshawar, Karachi und Lahore
- Verkehr in Pakistan
- Tschüss, Pakistan
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Mein nächster Blog-Beitrag: „Zurück in Deutschland – mein Gesamtbild dieser Reise“.
Der Titel verrät es: Mein nächster Bericht kommt bereits aus Deutschland und lässt alle Zwischenstationen auf meiner Reise von Pakistan aus – auch wenn es insbesondere aus dem Iran viel zu berichten gäbe. Das tue ich gerne in einem persönlichen Gespräch.
Veröffentlichung: 31.12.2024
Mein Blog reist mir zeitlich immer ein bisschen hinterher. In dieser Zeit stelle ich meine Erlebnisse zu spannenden Beiträgen zusammen. Du möchtest aber wissen, wo ich mich aktuell befinde? Du möchtest meine Route und eine Auswahl von Foto-Schnappschüssen? Dann begleite mich gerne auch auf Polarsteps (Link siehe hier)!
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