Zurück in Deutschland – mein Gesamtbild dieser Reise

Categories China, Große Ostasienreise, Iran, Japan, Nordkorea, Pakistan, Russland, Südkorea, Türkei

Das Schöne am Reisen auf dem Landweg ist, dass man sich Stück für Stück wieder dem eigenen Kulturkreis nähert. Kulturschock und Jetlag bleiben aus. Dafür verbleibt Zeit, die Erlebnisse der ganzen Reise gedanklich am Zugfenster vorbeiziehen zu lassen. In genau dieser Situation befinde ich mich. Während ich die letzten Kilometer über osteuropäische Gleise gen Dresden rumpele, fasse ich dir meine 11 persönlichen Erkenntnisse dieser ganz besonderen Reise „Mit dem Zug nach Japan“ (und zurück) zusammen:

  1. SELBST FERNE KULTURKREISE KÖNNEN SICH “WIE ZU HAUSE” ANFÜHLEN
    Mit meinem letzten Blogartikel hatte ich einen Einblick in das Leben in Pakistan gegeben. Es wurde deutlich, wie anders Pakistan im Vergleich zu allen Ländern ist. Der Unterschied ist so groß, dass ich mich bei meiner Ankunft im Nachbarland Iran beinahe in Europa wähnte. Die Menschen kleiden sich europäischer, Verhaltensweisen entsprechen eher unseren, bestimmte Gesten werden wieder verstanden. Nochmal europäischer wurde es in der Türkei: In Supermärkten gibt es ähnliche Produkte wie bei uns in Deutschland. Und überhaupt: Es gibt Supermärkte! Was „vertraut“ oder „fremd“ ist, ist allein eine Frage des Standpunkts.

  1. VORURTEILE BESTIMMEN DIE WELT
    Jede Nation hat ihr eigenes Bild von Menschen in anderen Ländern – und das ist auffallend häufig reduziert auf besorgniserregende Eigenschaften. In der Türkei wurde ich bspw. gefragt, ob der Iran nicht gefährlich sei. Im Iran wiederum hörte ich das Gleiche über die Menschen im östlich angrenzenden Pakistan. Je östlicher, desto schlimmer, könnte man daraus schließen. Die beinahe grenzenlose Gastfreundlichkeit, die ich in diesen Ländern erfahren habe, ist den wenigsten bekannt.
    Nicht anders verhält es sich mit China: Das Land kommt meist nicht gut weg. Ich hingegen bin in China vielen, vielen Menschen begegnet, die großes Interesse an mir gezeigt haben, die hilfsbereit und freundlich waren. Welches Bild hast du von China?
    Interessant ist der Blick gen Westen: Europa und Deutschland kommen – ich übertreibe nicht – immer gut weg. Wie angenehm, dieses Image zu haben.
Eine herausragende Begegnung: Doji und seine Ehefrau (Dunhuang, China)

  1. DIE WELT EIN BISSCHEN BESSER VERSTEHEN
    Zu meinen Reisezielen gehörte auch, mich ein Stück weit von meinen Vorurteilen zu verabschieden. Hierzu wollte ich mir vor Ort mein eigenes Bild schaffen. Nach der Reise wird mir umso mehr bewusst, dass die Reise ein Ritt durch die aktuelle Weltpolitik war. Auf meiner Route lagen zahlreiche Länder, die derzeit massiv das Weltgeschehen beeinflussen: Russland, Südkorea (in Verbindung mit Nordkorea), China, Pakistan (u.a. wegen Indien), der Iran (wegen Nahost) und die Türkei.

  1. POLITIK VS. GESELLSCHAFT – EBENEN, DIE SICH OFT VERMISCHEN
    Während meiner Reise verfolgte ich auch die deutschen Nachrichten und verglich das Gefühl, das sich beim Lesen der Nachrichten einstellte mit dem Gefühl, das ich vor Ort durch das tiefe Abtauchen in die Gesellschaft verspürte. Es passte einfach nicht zusammen. Die kritischen Nachrichten über Russland, China, Pakistan und den Iran beschrieben vorwiegend die politischen Aktivitäten, vergaßen aber die Gesellschaft: Was machen und empfinden die Menschen dort vor Ort?
    Egal, ob auf dem Land oder in den Städten, es war allerorten der gleiche Eindruck: Auch in diesen Länden leben die Menschen in der Regel ein ganz normales Leben. Sie streben nach Erfolg, wünschen sich Glück, ein gutes und friedliches Miteinander und Sicherheit für ihre Kinder. Das Auslassen dieser gesellschaftlichen Perspektive formt sehr einseitige Bilder von ganzen Nationen. Vorurteile, wie unter Punkt 2 beschrieben, haben es einfach.
Über den Dächern von Yazd, Iran

  1. FREIHEIT IM NETZ
    Freies und funktionierendes Internet ist eine Wohltat! Ich war darauf vorbereitet, dass ich nicht in jedem Land vollen Zugriff auf alle Informationen haben werde und hatte mich dementsprechend vorab darauf vorbereitet.
    Zur Planung der Reise war ich abhängig vom Internet. Gegen das langsame Internet, wie es in China und dem Iran, aber auch in Pakistan normal ist, konnte ich jedoch nichts ausrichten. Abends schnell etwas Nachschauen oder Buchen wurde zur Geduldsprobe. Im Iran war es ein Lotteriespiel, überhaupt Zugang zum Internet zu bekommen. Sehr häufig funktionierten die VPNs nicht. Sich zuverlässig zu verabreden ging nur telefonisch – oder Tage vorher. Den besten Zugang zum Internet hatte ich übrigens in Südkorea: Die Nutzung öffentlicher Hotspots war in der Regel problemlos möglich, das Internet war schnell, die Netzabdeckung hervorragend.

  1. FREIHEIT AUF DER STRASSE
    Noch eine Erfahrung in Sachen „Freiheit“: In China, aber auch in Pakistan und in Russland war es selbstverständlich, die Unterkunft nie ohne Reisepass zu verlassen. Nicht, dass ich sofort auf der Straße festgenommen worden wäre, wenn ich keinen hätte vorzeigen können. Doch ohne Pass hätte ich nicht am öffentlichen Leben teilhaben können, keine Tickets buchen und nicht mit dem Zug reisen können. Nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, war das Reisen wiederum in den Ländern, in denen der Reisepass kein ständiger Wegbegleiter sein musste, sonderbar.
Zwischenhalt in Plovdiv, Bulgarien

  1. ALLE IN EINEM BOOT
    Ressourcenschonung und Klimagerechtigkeit gehen alle Menschen an. Doch ich bin ernüchtert – und erinnere mich, dass ich das nach meiner Großen Asienreise vor 9 Jahren auch geschrieben hatte. An keinem Ort meiner Reise habe ich ambitionierte Maßnahmen wahrgenommen, die  diesen Pflichten nachkommen. Trotz gigantischer Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen ist in China nach wie vor Kohle ein wichtiger Energieträger. Auch Russland holt weiterhin Unmengen an Rohstoffen aus den Tiefen Sibiriens.
    Dass Wasser in absehbarer Zeit ein knappes Gut sein könnte, wird vielerorts ignoriert: In den besonders trockenen Gebieten im Westen Chinas, im Iran und in der Türkei spielt der sich abzeichnende Wassermangel keine Rolle. In Pakistan mangelt es darüber hinaus an der Abwasserbehandlung, verseuchte Flüsse sind allgegenwärtig. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung massiv und erstickt im Müll.
    Selbst Japan, dem Land, dem ich den Weitblick zugemutet hätte, enttäuscht, z.B. bei Verpackungen: Es wird mit Plastik verpackt was das Zeug hält, u.a. einzelne Bananen, Äpfel und Zwiebeln. Der Wertstoffkreislauf ist mir suspekt: Styropor-Schalen und Flaschendeckel werden recycelt, Altpapier wird dagegen im Restmüll entsorgt. Zudem wirken japanische Städte auf mich wie Beton- und Asphaltwüsten. Steigende Temperaturen und Starkregen werden auch Japan verstärkt zu schaffen machen.

  1. NUN ZU DEN LEICHTEREN ERKENNTNISSEN: CONVENIENCE STORES
    Bin ich froh, dass sich Convenience Stores in Deutschland nicht etabliert haben. In Japan sind „Konbinis“ mit einem 24 Stunden-Betrieb an 7 Tagen der Woche fester Bestandteil der Versorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs, u.a. mit einfachen Fertigessen und auch geschälten, einzeln abgepackten Kiwis. Als Helfer in allen Lebenslagen (z.B. für kochfaule Studierende) genießen sie Kultstatus. Immerhin gibt es zu normalen Tageszeiten zudem gewöhnliche Supermärkte. In Südkorea ist das anders: Der Convenience Store-Lifestyle schwappte vor einigen Jahren auf die koreanische Halbinsel hinüber. Die Stores haben sich massiv ausgebreitet und sind mittlerweile oft die einzige Möglichkeit, sich mit Lebensmitteln zu versorgen – zu überteuerten Preisen. Pakistan ist in dieser Hinsicht eine willkommene Abwechslung, denn hier gehen individuell aussehende Mangos und Bananen über den Ladentisch.
Lawson-Convenience Store in Aso, Japan

  1. WIE VIEL UNS ZEIT WERT IST
    Hast du mal darauf geachtet, wie viel Zeit Menschen am Handy verbringen – und dann noch mit belanglosen Dingen? In China, Südkorea und Japan ist die Quote nach meinen Beobachtungen noch höher als hierzulande. Ich finde es erschreckend, wie viel Zeit Menschen durch ihr Handy verschenken. Wie war das früher? Ich frage mich, welche sinnvollen Sachen früher Menschen in dieser Zeit gemacht haben.
    Ein ganz anderes Bild zeigt sich übrigens in Pakistan: Die allermeisten Menschen können sich kein Smartphone leisten, Tastentelefone ohne Internetnutzung sind der Standard. Mein Eindruck ist, dass die Menschen in Pakistan mehr direkt miteinander kommunizieren und deutlich weniger schweigend auf das Handy starren. Gleiches habe ich im Iran beobachtet. Zwar ist im Iran die Durchdringung von Smartphones höher, doch soziale Medien sind nur mit VPN zugänglich, welches wiederum häufig nicht funktioniert.
Handy-Shop in Teheran, Iran

  1. FREUNDLICHKEIT WERTSCHÄTZEN KÖNNEN
    Auf meiner Reise bin ich vielen Menschen begegnet, die meine Reise in irgendeiner Form bereichert haben: mit einem netten Gespräch, durch ihre Hilfe oder durch ein freundliches Lächeln. Allerdings habe ich festgestellt, dass trotz dieser immer einzigartigen Begegnungen Nettigkeiten mit der Zeit zur Selbstverständlichkeit wurden. Dazu gehörte z.B. das Entgegenkommen bei Übernachtungspreisen oder das Augen-zu-drücken des Fahrpersonals, wenn ich nicht über das passende Geld in Landeswährung verfügte. Selbstverständlich war das definitiv nicht! Eine nette Übung war, die vielen Geschenke von neuem wertzuschätzen. Hierzu stellte ich mir vor, wie die Situation in Deutschland gelöst würde: Ohne Euro beim Busfahrer bezahlen – mit welcher Wahrscheinlich würde ich mitfahren können?

  1. FUN FACT ZUM SCHLUSS: WAS EIN HÜHNCHEN IST
    Es ist kurios: Fragte ich nach einem vegetarischen Essen, wurde mir in gefühlt 90% der Fälle ein Gericht mit Hühnchen angeboten – ganz gleich, in welchem Land ich mich aufhielt. Dass ein Huhn kein Tier ist, ist scheinbar internationaler Standard.

Auch wenn ich nun am Ende meiner Reise angelangt bin, ist dieser Beitrag nicht der letzte. Aufgrund der vielen Erlebnisse musste ich die Höhepunkte aus Japan aufsparen. Zwei Beiträge werde ich in Bälde veröffentlichen:

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