Chinas Seidenstraße: Faszinierende Entdeckungen auf dem Weg von der Ostküste bis in den äußersten Westen des Landes
Categories China, Große OstasienreiseAuf die Rückreise durch China freue ich mich sehr: China verkörpert für mich etwas Geheimnisvolles und Mystisches, das Abenteuer und unerwartete Begegnungen verspricht.
Planänderung
Die Highlights, die mich interessieren, liegen eher im Süden des Landes, daher plane ich mit einem „kleinen“ Schlenker: Entlang der Ostküste möchte ich über Hangzhou und Hongkong in die südlich gelegene Guanxi-Province fahren. Mit Zwischenstopps in den Metropolen Chongqing und Chengdu soll es in den Nordwesten und dann entlang der Seidenstraße direkt gen Westen gehen.
Bei der Konkretisierung meiner Route stelle ich fest, dass es aussichtslos ist, Zugtickets zu bekommen. Tage vorher sind die Züge bis auf den letzten Sitz- und meistens auch Stehplatz ausgebucht. Bemerkenswert ist das deshalb, weil die Züge in kurzen Abständen fahren und bis zu 20 Wagen lang sind. Es sind Sommerferien und ganz China reist.
Aus diesem Grund entschließe ich mich dazu, von der Ostküste direkt gen Westen, dafür aber in kürzeren Etappen, zu reisen. Meine Zwischenstopps sind eher die kleineren Städte – demnach die mit nur wenigen Millionen Einwohnern 😉. Auf den 4.500 Kilometern von Qingdao, der Hafenstadt an der Ostküste bis nach Tashkurgan, ganz im Westen des Landes an der Grenze zu Pakistan, werde ich überwiegend der Seidenstraße folgen.
Chinas Entwicklungen innerhalb der letzten Jahre
Auf meiner Reise quer durch China komme ich durch Städte, die ich bereits bei meiner „Großen Asienreise“ vor 8 Jahren erkundet habe. Mir fällt auf, dass Vieles, das damals im Bau oder nur fragmentarisch fertiggestellt war, nun fortgeschritten ist und in Summe etwas Sinnvolles ergibt. Beispielsweise gab es damals in manchen Städten nur eine Metrolinie, die nicht einmal den Bahnhof angebunden hat. Mittlerweile sind neue Linien hinzugekommen, zwischen denen bequem umgestiegen werden kann. Ein zusammenhängendes Netz ist entstanden. In der Regel lassen sich nun in jeder größeren Stadt vom Bahnhof aus die wichtigsten Ziele schnell mit der Metro erreichen.
Bauen wie ein Weltmeister
Eines hat sich nicht geändert: China baut wie ein Weltmeister! Ins Auge fallen die vielen Baumaschinen und Kräne, die Baustellen versorgen und Hochhäuser in die Höhe ziehen. Es wird für Nachschub auf dem Immobilienmarkt gesorgt, obwohl bereits fertiggestellte Wohn- und Bürohäuser noch nie einen Nutzer gesehen haben. In manchen Stadtvierteln, die ausschließlich aus neuen Hochhäusern bestehen, brennt kein einziges Licht! Noch beängstigender sind die nicht vollendeten Häuser: Die Betonskelette der Hochhausgiganten ragen seelenlos in die Höhe und formen teilweise ganze Stadtbereiche.
Chinas Weg, mit dem massiven Push der Bau- und Immobilienwirtschaft für Wirtschaftswachstum zu sorgen, ist sehr skurril. Chinas Bevölkerung wächst nicht, die leerstehenden Häuser werden damit auch perspektivisch leer bleiben. Was passiert mit den leerstehenden Häusern? Wer kümmert sich um deren Unterhalt und wer finanziert diesen? Ist der Abriss bereits als Wirtschaftsförderung eingeplant?
Nicht nur im Immobiliensektor wird massiv gebaut, sondern auch an der Infrastruktur: Bei der Reise durch China fallen die vielen Baustellen an mehrspurigen Straßen auf, insb. in bergigen, eher abgelegenen Regionen. Nachdem die dicht besiedelten Regionen versorgt sind, werden offensichtlich besonders die entlegeneren Bereiche erschlossen. Ob es tatsächlich ein Verkehrsbedürnis gibt, ist scheinbar nebensächlich: Die autobahnähnlichen Straßen in den ländlichen Bereichen sind leer.
Anders bei der Eisenbahn: Das Netz ist in den letzten Jahren massiv gewachsen und die langen und oftmals häufigen Züge auf den neuen Strecken – wie oben erwähnt – ausgebucht. Ich frage mich, wie die Menschen früher von A nach B gekommen sind, als es keine Eisenbahn und keine Autobahn gab. Die mittlerweile bedeutungslos gewordenen Fernbusse können diese Masse an Menschen kaum abgedeckt haben. Wahrscheinlich sind die Menschen einfach nicht so viel in die Ferne gefahren.
Energiehungriges China
Beim Blick aus dem Zugfenster fallen immer wieder die rauchenden Schlote und die Kühltürme von Kohlekraftwerken auf. Kohlekraftwerke sind gefühlt überall: Ob in der Prärie, innerhalb einer Stadt oder am Stadtrand. In größeren Städten, wie z.B. in Urumqi lässt sich sogar in jeder Himmelsrichtung eines ausmachen. Die Zeit der Kohle scheint in China noch lange nicht vorbei zu sein: Vielerorts wird sogar an neuen Kraftwerken gebaut.
In Kontrast dazu stehen die schier endlosen Felder an Windkraftanlagen in den Wüsten Westchinas. Einst quälten sich hier die Karavanen auf der Seidenstraße entlang – nun sind die Wüsten zu einem wichtigen Energieproduzenten für China geworden. Selbst bei der 250 km/h-schnellen Zugfahrt auf der Neubaustrecke von Lanzhou nach Urumqi durch die eigentlich leere Landschaft reißen die Anlagen nicht ab. Doch wie kommt der Strom aus dem fast menschenleeren Westen ohne Industrien in den dicht besiedelten und industrialisierten Osten? Diese Frage lässt sich beim Blick aus dem Zugfenster schnell ermitteln: Parallel zur Ost-West-Verkehrsachse, also entlang der Seidenstraße, herrscht ständig ein Gewirr an Stromleitungen. Die Seidenstraße hat damit eine neue Bedeutung bekommen.
In chinesischer Gesellschaft
China befindet sich ohne Frage auf den Spitzenplätzen des Lächelns! In Xining, einer Stadt in Qinghai-Province, achte ich auf dem Weg zum Bahnhof ganz besonders drauf: In den 15 Minuten vom Hotel zum Bahnhof gibt es gleich 3 nette Begegnungen mit einem freundlichen Blickkontakt und einem willkommen-heißenden „Hello“ oder „Nihao“.
Nicht nur Erwachsene freuen sich über eine Begegnung, insb. Kinder und Jugendliche sind häufig sehr aufgeschlossen. Die Konversation läuft witzigerweise fast immer so ab:
- Chinesische Person: „What country are you from?“
- Ferry: „Deguo“ wird meist nicht verstanden, ich wiederhole: „Deguo. Germany.“
- Chinesische Person: „Deguo!“ für mich gleichklingend
- Ferry: „Where are you from?“
- Chinesische Person: „I’m from China.“
- Ferry: „Yes, I know. But which city?“
- Chinesische Person: xyz verstehe ich wiederum nicht
- Chinesische Person: Lächelnd. „Welcome to China!“
- Ältere schieben manchmal nach: „Do you speak Chinese?“
Ich frage mich, warum Kinder häufig besonders erstaunt sind, einen Ausländer zu sehen. Der Austausch mit einigen Chinesen zu dieser Frage liefert eine mögliche Antwort: China war wegen Covid lange abgeschottet. Viele Kinder haben noch nie einen Ausländer gesehen!
Mein Gesamtfazit zu China
Das Miteinander ist in China im Vergleich zu Südkorea und insb. zu Japan häufig rauer und ungehobelter. Es wird mal geschubst, gerülpst, gespuckt und auch mal gepupst. Insb. ältere Damen sprechen manchmal in einer Lautstärke, die nervt. Dennoch ist das Miteinander und dadurch das Reisen hier in China deutlich bereichernder und spannender. Für scheinbar alle Probleme gibt es eine Lösung, nirgendwo fühle ich mich mit meinen Fragen – auch wenn sie erstmal keiner versteht – alleine gelassen. Geholfen wird mir immer. Die Neugier und Freude, einen Ausländer zu sehen, gleicht den manchmal raueren Umgangston mehr als aus. Auch, dass nicht immer alles klinisch rein ist, wie z.B. in Japan, ist in Ordnung. Immerhin hat sich der Hygienestandard durch das Aufstellen von öffentlichen Toiletten in den letzten Jahren grundlegend verbessert.
China ist gut organisiert, effizient und verlässlich. Spürbar ist das vor allem an den Grenzübergangen und beim Reisen mit der Eisenbahn: Es ist faszinierend, wie schnell in Bahnhöfen die ID von hunderten Fahrgästen geprüft wird und das Boarding vonstatten geht.
Die vollständige Videoüberwachung und Präsenz von Sicherheitskräften hat zum Vorteil, dass Reisen in China extrem sicher ist. In keiner Sekunde habe ich mich unsicher gefühlt. Trotz der Reglementierung habe ich den Eindruck, dass Chinesen weiterhin ein bisschen „ihr Ding“ machen, z.B. bei Rot über die Ampel gehen, Absperrgitter missachten oder ohne Helm Motorrad fahren.
So faszinierend dieses Gigantische und Mysteriöse ist – es ist auch beängstigend! Beängstigend ist diese Energie des Landes, die scheinbar durch nichts gestoppt werden kann, sichtbar z.B. durch
- Städte, die innerhalb kürzester Zeit zu Metropolen wurden,
- Infrastrukturen, die von keinem Fluss und keinem Berg aufzuhalten sind,
- Tourismus, für den jeder noch so schöne Bergsee mit einer gigantischen Infrastruktur und künstlichem Ambiente erschlossen wird,
- die vielen, vielen Menschen.
Flächenfraß, Ressourcenverschwendung und Umweltzerstörung innerhalb kürzester Zeit sind die Kehrseite.
Mir fehlt zudem das Verständnis dafür, dass die tollen, neu geschaffenen Dinge nicht so gepflegt werden, dass sie lange halten und dauerhaft schön sind.
Grundsätzlich hätte ich große Lust, China weiter zu erkunden, insb. Sichuan und den Süden des Landes. China birgt noch viele spannende Facetten. Auf der anderen Seite bin ich nun gesättigt von diesem Gigantismus und freue mich auf „echte“ Städte mit authentischem Charme. Davon verspricht Pakistan, mein nächstes Land auf dieser Reise, erfahrungsgemäß sehr viel.
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Mein nächster Blog-Beitrag: „In 4.700 Meter Höhe von China nach Pakistan“
Veröffentlichung: 17.09.2024
Mein Blog reist mir zeitlich immer ein bisschen hinterher. In dieser Zeit stelle ich meine Erlebnisse zu spannenden Beiträgen zusammen. Du möchtest aber wissen, wo ich mich aktuell befinde? Du möchtest meine Route und eine Auswahl von Foto-Schnappschüssen? Dann begleite mich gerne auch auf Polarsteps (Link siehe hier)!
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