Auf die Sekunde unterwegs: Wie in Japan das Reisen mit Bus und Bahn funktioniert

Categories Große Ostasienreise, Japan

Der Schaffner läuft langsam durch den Wagen, doch Tickets kontrolliert er nicht. Am Ende des Wagens angekommen, dreht er sich um und verneigt sich vor den Fahrgästen. Die Reisenden scheinen von dieser mir ungewohnten Geste keine Notiz zu nehmen und starren weiter auf ihre Smartphones. Ein wenig tut mir der Schaffner leid.

Nur wer in Japan mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren ist, kann wirklich behaupten, Japan erlebt zu haben. Es gibt keinen anderen Ort, an dem Japans Eigenheiten so intensiv zu beobachten und zu erleben sind wie in Bussen und Bahnen, an Haltestellen und in Bahnhöfen.

Rücksichtsvolles Miteinander und ausgeklügelte Technik

Während in Deutschland beim Einsteigen mit den Hufen gescharrt wird und die Gedanken heiß laufen, wie sich vor allen anderen Fahrgästen ein Sitzplatz ergattern lässt, läuft das Warten und Einsteigen in Japan – trotz vieler Menschen – vollkommen unaufgeregt ab. Noch vor der Ankunft stellen sich die Reisenden sauber hintereinander in einer Warteschlange auf. Ist eine Warteschlange voll, füllt sich parallel dazu die nächste. Nachdem der Bus oder die Bahn eingerollt ist, läuft die Platzsuche ohne Hauen und Stechen ab. Man betritt das Fahrzeug, sucht sich einen Platz – und bleibt weiterhin diskret am Smartphone vertieft.

Anstehen beim Einsteigen in die Monorail in Tokyo

Auch die Präzision, mit der Züge durch Japan rollen, erreicht für mich einen Superlativ: Am hochfrequenten Hauptbahnhof von Tokyo werden endende Shinkansen-Züge innerhalb kürzester Zeit für die Rückfahrt fit gemacht. In nur 4 Minuten reinigt die Kolonne den kompletten Zug mit seinen 16 Wagen. Den Fahrgästen bleiben weitere 2 Minuten für das Boarden – und schon fährt der Zug wieder in die Gegenrichtung ab.

Bekannt ist Japan für seine pünktlichen Züge. Der Blick über die Schulter des Lokführers verrät, mit welcher Genauigkeit in Japan gemessen wird: Der interne Fahrplan gibt die Abfahrts- und Ankunftszeiten sowie die Zeiten für durchfahrene Bahnhöfe in 10-Sekunden-Schritten an!

Unterwegs mit der S-Bahn in Tokyo

Meine allererste Fahrt in Japan verläuft überraschenderweise überhaupt nicht japanisch: Kurz vor dem Ziel bleibt mein Zug hängen und sammelt 90 Minuten Verspätung – weil ein Auto an einem Bahnübergang auf die Gleise gefahren ist. „Doch nicht alles pünktlich!“, denke ich mir. Überrascht bin ich auch über einen Zugausfall, bei dem ich nicht über alternative Reisemöglichkeiten informiert werde. „Nicht besser als in Deutschland!“, folgere ich ebenso hier. Doch diese beiden Vorfälle bleiben Ausnahmen.

Im Grunde gibt es nichts, worüber ich mich ärgern müsste. Die Züge sind pikobello sauber, im Zug liegt kein Müll herum – obwohl es keine Mülleimer gibt. An den Fenstern der vollen S-Bahn in Tokyo finde ich keine Abdrücke von fettigen Fingern oder Haaren, kein Scratching, keine Tags, kein Graffiti.

Im Grunde gibt es nichts, worüber ich mich ärgern müsste.

Mir wird bewusst, dass diese hohe Qualität des Reisens auch mit dem rücksichtsvollen Verhalten der Mitreisenden zusammenhängt. Niemand hält Türen offen, niemand diskutiert mit dem Personal. S-Bahn-Fahren in Tokyo ist so sicher, dass mein schlafender Sitznachbar während der Fahrt sein Smartphone ganz offen auf seiner Handfläche präsentiert. Und so sicher, dass kleine, geschätzt 6-8 jährige Schulkinder selbstsicher durch die Rush-hour navigieren.

Unterwegs mit dem „Resort Shirakami“ im Nordwesten von Honshu

Japan – ein Paradies für das Reisen mit Bahnen

Bei der Wortkombination „Japan“ und „Züge“ denken viele an „Shinkansen“. Diese bis zu 320 km/h schnellen Züge auf isolierten Fahrwegen („Shinkansen“ bedeutet „neue Hauptstrecke“) sind natürlich das Flaggschiff japanischer Eisenbahntechnologie. Die Shinkansen-Strecken machen aber – nach Länge – nur einen Bruchteil des gesamten japanischen Eisenbahnnetzes aus.

„Hello Kitty-Shinkansen“ beim Zwischenstopp in Osaka

Neben den Shinkansen erschließt die konventionelle Eisenbahn mit einem dichten Angebot auf Hauptlinien und Nebenstrecken so gut wie jeden Zipfel des Landes, von Hokkaido ganz im Norden bis Kyushu ganz im Süden. Im Vergleich zu den Shinkansen-Strecken mit einer Spurweite von 1.435 mm (wie in Deutschland) fahren die konventionellen Züge auf einer deutlich kleineren Spurweite von 1.067 mm, erreichen aber abschnittsweise 160 km/h und machen damit ebenso Tempo. Technisch gesehen sind beide Systeme voneinander getrennt, dennoch sind die Bahnhöfe an Kreuzungspunkten so geschickt angelegt, dass Fahrgäste zwischen beiden Zugsystemen einfach umsteigen können. Damit ist Japan, ähnlich wie die Schweiz, ein Paradies für das Reisen mit Bahnen. Flugzeug oder Auto sind zur Fortbewegung überhaupt nicht erforderlich.

Joyful-Trains – eine ganz besondere Idee

Um noch mehr Menschen Lust am Reisen mit Bahnen zu machen, haben sich die Japanischen Eisenbahnen etwas Besonderes einfallen lassen: Auf verschiedenen Strecken im gesamten Land verkehren sogenannte „Joyful Trains“, Themenzüge, die nach einem festen Fahrplan, manchmal sogar mehrmals täglich, fahren und allen Reisenden offen stehen. Da die Züge häufig etwas kürzer sind als die normalen Züge, ist eine Reservierung zwingend erforderlich. Jeder einzelne dieser „Joyful Trains“ ist eine Sonderform und ein Erlebnis. Der „Resort View Furusato” mit seinen besonders großen Panoramafenstern kreuzt die Japanischen Alpen und hält länger an Zwischenstationen, damit sich seine Fahrgäste bspw. die schönen Tempel entlang der Strecke anschauen können.

Unterwegs mit dem „Resort View Furusato“ in den Japanischen Alpen

Der blaue Triebwagen „HIGH RAIL 1375“ fährt zum höchsten Punkt des Eisenbahnnetzes und hat ein kleines Planetarium mit an Bord. Auch nachts werden die Fahrten angeboten. Am höchsten Punkt besteht genügend Zeit in den Sternenhimmel zu schauen – wenn nicht die hell erleuchteten Verkaufsautomaten im Bahnhofsumfeld mit ihrer Lichtverschmutzung den Blick trüben würden. Ein Highlight für Kinder als auch für Erwachsene ist ein als POKÉMON gestalteter und mit Pikachus vollgestopfter Zug. Dieser Zug ist unter Japanern so beliebt, dass dieser nach Buchungsfreigabe umgehend ausgebucht ist. Ein interessanter Hintergrund gerade zu diesem Zug und seinem Verkehrsgebiet im Nordosten Japans: Nachdem die Region durch einen Tsunami 2011 weitestgehend verwüstet und anschließend wieder aufgebaut wurde, entschloss man sich, den POKÉMON-Zug gerade in diese Region zu schicken, um den Tourismus zu beleben.

Mit dem „HIGH RAIL 1375“ zum höchsten Punkt des japanischen Eisenbahnnetzes

Japan – ein rollendes Museum

In einer kleineren Stadt im Norden erklärt mir ein Japaner, dass die Busse, die hier den Stadtverkehr bestreiten früher in Tokyo gefahren sind. Die Busse sind sehr in die Jahre gekommen. Alte Fahrzeuge – ob Busse oder Taxis – fallen mir nicht nur hier, sondern vielerorts in Japan auf. Eine Fahrzeugflotte in dem Alter wie der Japans, würde sich vermutlich bei uns im Museum wiederfinden. Bei vielen Regionalzügen sieht das ähnlich aus. Das überrascht mich für das technisch hoch entwickelte Japan. Dennoch, sowohl betagte als auch neue Fahrzeuge sind top gepflegt.

In einem Regionalbus auf Kyushu

Auch in neuen Zügen lebt altes Design weiter: Shinkansen-Züge erscheinen zwar von außen schnittig, sind aber innen ähnlich steril und zweckmäßig wie Flugzeuge. Im Vergleich zu deutschen Fernverkehrszügen mit angenehmen Aufenthaltsbereichen (z. B. einem Bordrestaurant) scheinen Shinkansen-Züge darauf ausgelegt zu sein, Reisende schnell und effizient ans Ziel zu bringen – die Freude an der Reise scheint bei diesen Zügen weniger im Vordergrund zu stehen.

Unterwegs mit dem Shinkansen
Bedienungsanleitung für die Toilette im Shinkansen

Der Japan Rail Pass – das ultimative Ticket für grenzenlosen Reise-Spaß

Auch bei Fahrkarten überrascht Japan: Wer gedacht hat, dass Fahrkarten einfach über Apps gekauft werden, der irrt! An Japans Bahnhöfen warten weiterhin Unmengen an Automaten, über die Fahrkarten gekauft oder kontaktlose Chipkarten (nur mit Bargeld!) aufgeladen werden können.

Zugfahren ist in Japan im Vergleich zu Deutschland etwas teurer, denn Sparpreise oder Rabattkarten wie eine BahnCard gibt es nicht. Eine Einzelfahrt von Tokyo nach Osaka (550 km, 2,5 Stunden) kostet immer ca. 90 €. Zum Glück gibt es eine einfache Alternative: den Japan Rail Pass. Dieses Flatrate-Ticket gilt 1, 2 oder 3 Wochen bei allen sechs Gesellschaften von Japan Railways – und demnach auf fast allen Schienenstrecken in Japan, sowohl im Regional-, Fernverkehr und in den Shinkansen-Zügen. Die 3-Wochen Maximalvariante kostet umgerechnet ca. 27 € pro Tag (Gesamtpreis ca. 570 €). Durch die relativ hohen Preise bei Einzelfahrten lohnt sich der Japan Rail Pass daher sehr schnell. Empfehlenswert ist, dieses Ticket direkt bei Japan Railways (siehe hier) zu kaufen und an einem der Fahrkartenschalter in Japan abzuholen. Dies erspart die Provision für Drittanbieter und umständliches Zuschicken in das Heimatland.

Japanische Freude am Sammeln

An fast jedem Bahnhof liegen sie aus, mal sind sie angekettet, mal nicht: Stempel, mit ganz individuellen Motiven – vom Bahnhof, den dort verkehrenden Zügen oder von den Landmarken der Umgebung. Viele Kinder, aber auch viele Erwachsene huschen nach Ankunft des Zuges zielstrebig zum Stempelkissen, meist direkt in der Empfangshalle positioniert und pressen ihr persönliches Andenken in ihr Heftchen. Zunächst belächle ich diesen Run, doch ich schaue mir die Stempel genauer an und stelle fest, dass sie wirklich nett gestaltet sind. Es gibt z. B. Stempel am nördlichsten Bahnhof Japans, der östlichsten Station, dem Bahnhof am höchsten Turm der Welt, der interessanterweise einer japanischen Eisenbahngesellschaft gehört, usw. Ich halte diese Stempel für eine tolle Idee, gerade jungen Menschen Lust zu machen, mit dem Zug zu reisen. Ich frage mich, warum es solche Stempel nicht auch an unseren Bahnhöfen gibt? Vermutlich wären die Stempel nach 1 Tag weg… .

Auch mich hat noch die Sammellust gepackt

Mein nächster Blog-Beitrag: „Japan – im Land der aufgehenden Sonne“

Veröffentlichung: vsl. Ende April 2025

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