Südkorea – ein Land in ständiger Alarmbereitschaft
Categories Große Ostasienreise, Nordkorea, SüdkoreaIn Seoul, Südkoreas Hauptstadt, ist richtig was los: Emsige Geschäftsleute, Shopping-Fans und viele Touristen wuseln durch die Straßenschluchten aus glasverkleideten Hochhäusern. Auf öffentlichen Plätzen singen junge, unentdeckte Talente emotional zu K-Pop und reißen ihr Publikum mit. 50 Kilometer nördlich von hier könnte dagegen jede Bewegung einen militärischen Einsatz auslösen.
Die Armeen von Südkorea und Nordkorea stehen sich an der innerkoreanischen Grenze kampfbereit gegenüber. Getrennt werden sie nur durch die „Demilitarisierte Zone“ (DMZ). Die DMZ ist ein von der Grenzlinie jeweils nach Norden und nach Süden ausgehender, 2 Kilometer breiter Streifen, in dem keine Militärtechnik eingesetzt werden darf. Dieser Puffer soll davor schützen, dass eine unbeabsichtigte Bewegung tatsächlich einen Einsatz auslöst. Doch abseits der DMZ gehört die 250 Kilometer lange Grenzlinie von Nord- und Südkorea zu den am stärksten militarisierten Gebieten weltweit und steht für einen Konflikt, der seit 70 Jahren ungelöst ist. Bis heute wurde kein Friedensvertrag unterzeichnet.
Geschichtlicher Hintergrund: Koreakrieg 1950-53
Japan musste nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg seine Kolonie Korea abgeben. Eine interessante Parallele zu unserer deutschen Geschichte: Nach der Befreiung von Japan wurde Korea durch die Sowjetunion und die USA ungefähr in der Hälfte und damit entlang des 38. Breitengrades in zwei Besatzungszonen geteilt. 1948 scheiterten Versuche, eine unabhängige Regierung für das gesamte Korea einzurichten, daraufhin gründete jede Besatzungszone ihre eigene. Jede nahm für sich in Anspruch, Gesamtkorea zu regieren. Aufstände der Kommunisten wurden von Südkorea niedergeschlagen.
Im Juni 1950 überschritt die nordkoreanische Armee den 38. Breitengrad und überfiel Südkorea. In kürzester Zeit eroberten die Nordkoreaner fast vollständig die südliche Besatzungszone. Das Eingreifen eines UN-Kommandos, das zu 90% durch US-Amerikaner gestellt wurde, brachte eine Kehrtwende. Die Truppen schnitten die Versorgungslinien der Nordkoreaner ab. Sie drangen immer weiter in den Norden und in Richtung des Yalu-Rivers vor und näherten sich der chinesischen Grenze. Dadurch trat auch China in den Krieg ein und brachte wiederum Erfolge für Nordkorea. Nach Gegenoffensiven und erneuten Niederlagen beider Seiten kam der Krieg 1953 entlang des 38. Breitengrades zum Stillstand. Unterzeichnet wurde nur ein Waffenstillstandsvetrag, die DMZ wurde eingerichtet. An diesem Zustand hat sich formal bis heute nichts geändert.
Situation heute
Vor etwa 15 Jahren entspannte sich das Verhältnis zwischen beiden Ländern etwas: In Kaesong auf der nordkoreanischen Seite wurde eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet, in der Waren für Südkorea gefertigt wurden. Auch grenzüberschreitender Tourismus zum heiligen Berg Paekdusan (in China „Changbaishan“ – siehe mein Beitrag vom 30.07.2024) wurde Südkoreanern ermöglicht.
U.a. der Tod eines südkoreanischen Touristen führte zur erneuten Schließung der Grenzen. Südkorea verbietet nun den eigenen Landsleuten einen Aufenthalt in Nordkorea, wenngleich die Ein- und Ausreise über China oder Russland möglich wäre. Widerrechtliche Aufenthalte werden durch Südkorea als Spionage gesehen. Auch wegen umfangreicher, gegen das Nachbarland gerichteter Propaganda – in den Nachrichten wurde jüngst davon berichtet – ist die Stimmung zwischen beiden Ländern derzeit auf einem Tiefpunkt.
Nicht nur an den Grenzen, sondern ebenso im Landesinneren ist der Konflikt sichtbar: Auffallend häufig ziehen Düsenjets am Himmel vorüber, in den U-Bahnstationen sind Gasmasken sehr präsent ausgestellt, auf Notfall-Unterkünfte wird offensiv hingewiesen. An Bahnhöfen sind Lounges ausschließlich den Soldaten der koreanischen Streitkräfte, der US-Armee sowie deren Angehörigen vorbehalten.
Der Konflikt mit Nordkorea scheint nach wie vor ein Wunder Punkt bei vielen Südkoreanern zu sein. Den Menschen, denen ich begegne und mit denen ich dieses Thema anschneide, reagieren betrübt. Ein älterer Herr erzählt mir, wie seine Eltern in den 1960er vom Norden in den Süden geflohen sind und wie er in den Nachkriegsjahren aufgewachsen ist.
Fast jeder und jede kann eine Geschichte erzählen, denn die Betroffenheiten sind groß: Im Koreakrieg sind relativ zur Bevölkerung betrachtet mehr Menschen gestorben als im 2. Weltkrieg oder im Vietnamkrieg. Fast alle koreanischen Städte wurden im Krieg zerstört.
Trotz der derzeit trüben Aussichten wird die Hoffnung auf eine Beendigung des Konflikts offensichtlich nicht aufgeben: Auffallend häufig tragen Landmarken oder Einrichtungen Namen, die in irgendeiner Weise den Begriff „Frieden“ oder „Wiedervereinigung“ beinhalten. Dazu gehören bspw. der „Unification Observation Tower“ am östlichen Ende der DMZ und der „DMZ Train“ mit den drei Themenwagen „Peace“, „Harmony“ sowie „Love“.
Für Einheimische und ausländische Touristen ist der Besuch der Grenzregion und der DMZ ein beliebtes Tagesausflugsziel. Seouls U-Bahnnetz endet an den ersten Grenzsicherungsanlagen. Dort lockt ein Vergnügungspark inkl. westlicher Verköstigungsmöglichkeiten wie Dunkin Donuts und Co.
Wer der DMZ noch näher kommen möchte, setzt sich in eine Seilbahn (die „Paju Imjingak Peace Gondola“) und schwebt über die ersten Sicherungsanlagen und über ausgewiesene Minenfelder auf ein vormals von US-Amerikanern genutztes Gelände.
Solange der Frieden nicht zustande kommt, wird die Grenzregion weiterhin ein sehr surreales Bild abgeben: eine Mischung aus Geschichte und aus aktueller Bedrohung, die neugierig macht und sogar zu Spaß einladen soll.
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Mein nächster Blog-Beitrag: vsl. „Südkorea – meine Suche nach positiven Vibes“
Veröffentlichung: Donnerstag, 22.08.2024
Mein Blog reist mir zeitlich immer ein bisschen hinterher. In dieser Zeit stelle ich meine Erlebnisse zu spannenden Beiträgen zusammen. Du möchtest aber wissen, wo ich mich aktuell befinde? Du möchtest meine Route und eine Auswahl von Foto-Schnappschüssen? Dann begleite mich gerne auch auf Polarsteps (Link siehe hier)!
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