Auf der Transsibirischen Eisenbahn von Europa bis an das Japanische Meer (Teil 2 von 2)
Categories Große Ostasienreise, Russland
Auf etwa halbem Weg von Russlands Westen in den Osten, biege ich von der Transsib auf die sogenannte Baikal-Amur-Magistrale (Байка́ло-Аму́рская магистра́ль, kurz: BAM) ab. Sie führt im Vergleich zur Transsib weiter nördlich an den Pazifischen Ozean und verspricht tiefere Einblicke in Sibiriens Wildnis.
Der Bau der BAM erfolgte vor dem Hintergrund, bei einem möglichen Eroberungsversuch Chinas und der Einnahme der (südlichen) Transsib eine zuverlässige Versorgung von Russlands Osten sicherzustellen. Erste Bauaktivitäten starteten in den 1930er-Jahren mit Gefangenen von Gulags, die Arbeiten kamen dann aber durch den 2. Weltkrieg zum Erliegen.

Erst in den 1970er Jahren wurde der Bau der BAM wieder aufgenommen und die Strecke in bis dato noch unberührte Regionen Sibiriens vorgetrieben. In der Sowjetunion war der Bau der BAM das Prestigeprojekt schlechthin. Aus der ganzen Union wurden Arbeitskräfte, mit dem Versprechen am Fortschritt mitwirken zu können, angelockt. Die Kosten stiegen jedoch u.a. wegen des schwierigen Baus auf Permafrostböden um ein Vielfaches. Durch den Kollaps der Sowjetunion entfaltete die BAM nicht den angedachten Nutzen. Die Orte entlang der Strecke blieben kleine Städtchen. Größere Ansiedlungen von Schwerindustrien wie andernorts in der Sowjetunion üblich sind eher eine Ausnahme (wie z.B. die Aluminiumhütten in Bratsk und Erdölraffinerien in Lena).

Die BAM schlängelt sich daher durch überwiegend unbewohnte Regionen, durch malerische Berglandschaften und entlang reißender Flüsse. Die Städtchen entlang der Strecke entstanden allesamt erst durch den Bau der BAM. Solide Plattenbauten sind daher charakteristisch.

Einige mit dem Bau der BAM in die Region gekommene Menschen sind geblieben. Valentyna, die mir gegenübersitzt, gehört zu diesem Personenkreis. Sie ist 1984 in die sibirische Stadt Tynda gekommen, geblieben und heute auf dem Weg zu ihrer Tochter nach Krasnodar.
Geblieben ist auch der Stolz auf dieses Projekt: In den Orten weisen zahlreiche Denkmäler auf dieses Mammutprojekt hin. Immerhin wurden rund 3.000 Kilometer Strecke in 10 Jahren errichtet! Auch auf das 50-jährige Bestehen (bezogen auf den erneuten Baustart) wird momentan an vielen Orten Russlands – sogar abseits der BAM – hingewiesen.



Für die Städte entlang der Strecke ist der 1-3 mal pro Tag verkehrende Zug weiterhin ein sehr wichtiges Verkehrsmittel für Reisen in die weite Welt. Spannend ist zudem: Selbst von diesen so entlegenen Orten Ostsibiriens fahren Direktzüge bis ganz in des Westen Russlands an das Schwarze Meer (Anapa) oder in den Kaukasus (Kislovodsk) und damit fast vor unsere Haustüre – zumindest relativ gesehen.

Für die letzten Kilometer zum Japanischen Meer bin ich wieder auf der Transsib unterwegs. In Khabarovsk, einer Großstadt mit 600.000 Einwohnern in Russlands Fernem Osten treffe ich auf Viktoria. Sie kommt aus einer kleineren Stadt in der Umgebung und begleitet gerade ihre Tochter bei ihrem Krankenhausaufenthalt. Viktoria berichtet davon, dass die Russinnen und Russen im Westen des Landes häufig sehr abwertend über die eigenen Leute im Fernen Osten urteilen würden und sie für „dümmer“ hielten.
Sie bestätigt mir zudem meinen Eindruck, dass Lebensmittel hier im Fernen Osten teurer sind. Durch die längeren Winter kann in der Region kaum Obst und Gemüse angebaut werden. Khabarovsk bezeichnet sich nicht umsonst als die „kälteste Stadt der Welt mit mehr als einer halben Million Einwohnern“. Daher sind viele Lebensmittel entweder aus dem Westen Russlands zu beziehen oder aus China zu importieren.
Aufgefallen sind mir ebenso die vielen japanischen Automodelle (als Linkslenker) auf Khabarovsks Straßen. Viktoria erklärt mir, dass dies Gebrauchtfahrzeuge aus Japan seien. Allerdings dürfen nun infolge der Sanktionen momentan keine Fahrzeuge mehr importiert werden, stattdessen werden vermehrt chinesische Fahrzeuge eingeführt.

Am 14. Tag meines Russlandaufenthaltes komme ich an der Endstation in Vladivostok an. Mit dem Direktzug hätte ich schneller sein können. Doch es hat sich gelohnt, die Fahrt nach einer Nacht oder nach maximal zwei Nächten zu unterbrechen, um auch von dem Leben vor Ort einen Eindruck zu bekommen. Übrigens: Die Tickets für die Fahrt quer durch Russland haben mich ca. 240 EUR gekostet (im einfachen Schlafwagen „Platskart“).

Mit meinem elektronischen Visum darf ich mich maximal 2 weitere Tage in Russland aufhalten. Daher werde ich mich morgen auf den Weg zum etwa 200 km entfernten russisch-chinesischen Grenzübergang machen.
Mein nächster Blog-Beitrag: „Meine letzten Tage in Russland: Die beinahe unendliche Geschichte, eine Grenze zu passieren“
Veröffentlichung: Samstag, 29.06.2024
Mein Blog reist mir zeitlich immer ein bisschen hinterher. In dieser Zeit stelle ich meine Erlebnisse zu spannenden Beiträgen zusammen. Du möchtest aber wissen, wo ich mich aktuell befinde? Du möchtest meine Route und eine Auswahl von Foto-Schnappschüssen? Dann begleite mich gerne auch hier!
















Schöne Berichte – nicht zu viel, nicht zu wenig Text, schöne Fotos. 🙂
Danke dir Ferry, weiterhin gute Reise!
Das ist ja eine fantastische Reise. Vielen Dank. Wir werden dich auch weiterhin begleiten. Es ist doch unglaublich, was die Technik einem für Möglichkeiten bietet, anderen Menschen in diesem Umfang soviel mitzuteilen. Wir sind schon auf die Fortsetzung gespannt. Liebe Grüße von Gabi und Günter