Unterwegs auf Myanmars „Coca-Cola-Route“

Categories Große Asienreise, Myanmar

Nach Yangon setze ich meine Reise auf der sogenannten „Coca-Cola-Route“ fort. Diese Wortschöpfung stammt von einem Reisenden, den ich vor einigen Tag traf. Sehr treffend beschreibt die „Coca-Cola-Route“ eine standardisierte Runde von vier Fixpunkten, der mindestens 95% der Myanmar-Urlauber folgen (daher „Coca-Cola“, weil stets alle westlichen Annehmlichkeiten verfügbar sind). Die Runde sieht so aus: Per Flugzeug in Yangon (von Bangkok) ankommen, weiter nach Bagan fahren, dann über Mandalay zum Inle-Lake reisen, um anschließend wieder nach Yangon zurückzukehren und über Bangkok in alle Welt zu fliegen. Nur ein kleiner Teil schafft es zu anderen sehenswerten Orten, wie der britischen Hillstation im Nordosten, zum Goldenen Felsen, der mit Pagoden übersäten Stadt Bago oder zu den Stränden. Und abseits dieser Orte? Außer mir und einer Hand voll anderer Reisender ist dort nicht viel los.

Ich kann mich dem Sog der Coca-Cola-Route nicht entziehen und fahre nach Bagan. Übersät mit mehreren tausend Tempeln (je nachdem, ob Ruinen mitgezählt werden schwankt die Zahl zwischen 2.000 und 7.000) bietet die Gegend um Bagan eine perfekte Spielwiese für Archäologen, Gläubige, Kulturinteressierte und Fotografen. Und Peoplewatcher – wie mich. So viele westliche Menschen wie jetzt habe ich seit langem nicht mehr um mich: Deutsche, Franzosen, Italiener, Kanadier, etc. Nach der langen Abstinenz fallen mir manche Verhaltensweisen besonders deutlich auf, z.B. bei den Deutschen das „Wahrgenommen werden ohne Blickkontakt zu haben“. Schon in Yangon ist mir das aufgefallen. Deutsche (an bestimmten Ausrüstungsgegenständen erkennt man Deutsche sehr schnell) näherten sich mir, ich war kurz davor im Vorbeigehen zu grüßen (wie es in Myanmar und in anderen Ländern üblich ist), doch die Menschen gingen einfach an mir vorbei. Nichts geschah. Scheinbar scheint bei den Kurzreisenden der Scheuklappenmodus besonders stark zu wirken.
Außerdem passiert auch das, wovor ich mich schon seit Reisebeginn fürchte, damit aber rechne, sobald ich mich Thailand, einem weltweit beliebten Backpackerziel, nähere: Den Backpackern zu begegnen, die meinen, nach einem zweiwöchigen Aufenthalt das Land und die Leute zu kennen, sich aber kaum an Orten, die typisch für Einheimische sind aufhalten und trotzdem lamentieren, dass die Menschen unfreundlich wären, es zu dreckig und zu teuer wäre.
Die Eindrücke nach dem Peoplewatching geben mir genügend Energie, um meine Reisepläne zu ändern und nicht der Coca-Cola-Route weiter zu folgen, sondern in den Nordosten Myanmars an die chinesische Grenze aufzubrechen, in dem der Tourismus bislang kaum oder keine Spuren hinterlassen hat.

Ich fahre zunächst von Bagan nach Mandalay und steige dann in einen Zug, dessen Ziel im Nordosten Myanmars liegt. Mein Zug verlässt die Tiefebene, die Zentralmyanmar prägt, kriecht zwei Stunden den Berghang hinauf und erreicht Pyin Oo Lwin. Die Hochebene wird dominiert von zahlreichen Obstplantagen und Blumenfeldern. Wegen der fruchtbaren Böden und der Feuchtigkeit ist ein Anbau hier auch während der Trockenzeit möglich.
Nach einigen weiteren Stunden erreiche ich den Shan State. Die Shan, Bewohner des Shan State, besiedelten ursprünglich auch Gebiete im heutigen China, Laos und dem nördlichen Thailand. Wenig verwunderlich ist, dass die Shan ein deutlich chinesischeres Antlitz haben als ihre burmesischen Nachbarn im Westen des Landes. Nicht nur ihr Aussehen ist anders – sondern auch ihr Verhalten mir gegenüber: Wenngleich ebenso freundlich, sind sie beim ersten Kontakt etwas verhaltener und lächeln nicht um die Wette.
Nach 16 Stunden Zugfahrt erreiche ich Lashio, heute eine bedeutende Handelsstadt im Shan State an der sogenannten „Burma Road“. Kurzer Hintergrund zur „Burma Road“: Während der britischen Kolonialzeit wurde vom damaligen Burma aus China versorgt. 1942 jedoch besetzte Japan die Burma Road, überrannte Burma und stand dadurch mit Großbritannien im Krieg. Erst 1945 wurde die Burma Road von den Alliierten befreit.

Ich wechsle das Verkehrsmittel und beabsichtige, die rund 200 Kilometer auf der Burma Road von Lashio bis Muse an der chinesischen Grenze mit dem Bus zurückzulegen. Obwohl das offensichtlich sensible Grenzgebiet noch weit entfernt ist, unterliegt der folgende Abschnitt der Burma Road laut mehreren Reiseführern und Einheimischen besonderen Reisebestimmungen: Ausländische Reisende dürfen diesen Streckenabschnitt nur mit staatlicher Genehmigung und nur mit einem Guide passieren. Das Passieren der Grenze – was ich jedoch nicht vorhabe – sei außerdem nur von China nach Myanmar, nicht jedoch andersherum möglich. Das Reisebüro, über das ich meine Genehmigung für den Grenzübertritt von Indien nach Myanmar besorgt hatte, teilte mir jedoch mit, dass der Abschnitt nun für Individualreisende ohne Genehmigung und ohne Reisebegleitung befahrbar sei.
Ich versuche mein Glück. Anstelle mit dem Bus zu fahren legen mir einige Einheimische nahe, ein Shared Taxi zu nutzen. So quetsche ich mich mit anderen Shans in ein Auto. Wir winden uns die Berge hoch und runter. Bei meiner Mitfahrerin schlägt das „asiatische Gen“ zu – sie muss sich wegen der kurvigen Fahrt fortwährend übergeben. Als einzige Verbindung zwischen Myanmar und China wird die Straße erheblich vom Schwerlastverkehr geprägt. Stoßstange an Stoßstange quälen sich die voll beladenen Lkw die teils asphaltierte, teils jedoch unbefestigte Straße die Berge hoch und runter. Ab und zu wundere ich mich, dass es doch relativ ruhig ist und wir fast die Einzigen auf der Straße sind. Etwas später passieren wir kilometerlange, stehende Lkw-Schlangen. Anscheinend wird die Straße abschnitts- und richtungsweise für den Lkw-Verkehr gesperrt, um einerseits unfallfreie Fahrten zu ermöglichen und andererseits die teils umfangreichen Bauarbeiten nicht zu behindern.
Nach rund viereinhalb Stunden Fahrt – und kurz vor Muse – erreichen wir einen Kontrollposten – jetzt wird es ernst. Brauche ich wirklich keine Permit mehr für diese Gegend? Ernst wird es auch, weil mein Visum heute abläuft und ich Myanmar nicht hier nach China, sondern an einer ganz anderen Stelle nach Thailand verlassen möchte. Bis dahin brauche ich jedoch mindestens 5 Tage. Ich verlasse mich auf die Aussage anderer Reisender, dass ich bei einem Overstay nur eine Strafgebühr von $3 pro Tag zahlen muss. Was passiert jedoch, wenn dem Herrn von der Immigration an diesem Kontrollpunkt dieses Vorgehen nicht bekannt ist? Was ist, wenn er mich fragt, wie ich innerhalb eines Tages das Land verlassen möchte?
Kritisch schauen die Herren von der Immigration meine Dokumente durch. Meine Daten werden in ein großes Buch eingetragen. Beim Spickeln sehe ich, dass tatsächlich kaum Ausländer diesen Punkt passieren. Mir wird mein Ausweis in die Hand gedrückt und gute Fahrt gewünscht. So einfach gehts. Erleichtert steige ich wieder ins Auto und wir rollen den Berg hinab nach Muse. Vor uns erstreckt sich ein weites Tal – auf der anderen Seite des Flusses liegt China. Ich hatte mir die Gegend wegen ihrer Abgeschiedenheit als zurückgeblieben und ländlich vorgestellt. Ruili, die Stadt auf der chinesischen Seite hat jedoch über 110.000 Einwohner. Mehrere Hochhäuser ragen in die Höhe – und es wird wie verrückt gebaut. Und auch Muse, die Stadt auf der Seite Myanmars ist alles andere als verschlafen. Die enge Verbindung zu China ist unübersehbar: Vieles ist in Chinesisch ausgeschildert, Elektroroller und Autos mit chinesischem Kennzeichen sausen durch die Stadt. Im kleinen und großen Grenzverkehr werden erheblich Waren zwischen den beiden Ländern ausgetauscht. Bis vor Kurzem hatte wohl auch Heroin einen sehr hohen Anteil am Wert der aus Myanmar exportierten Güter.
Lange halte ich es in Muse nicht aus. Es ist extrem straubig und laut, denn auch der große Grenzverkehr von der Burma Road quält sich durch die Stadt. Ich entschließe mich in das nächste Örtchen, Namkham – etwa 1 Stunde nördlich entlang der Grenze zu China – weiter zu fahren. Wir verlassen Muse und fahren durch grüne Reis- und Getreidefelder gen Norden. Das fruchtbare Tal mit den grünen Feldern ist landschaftlich eine angenehme Abwechslung zum trockenen Rest Myanmars.
Namkham ist ein Örtchen genau nach meinen Vorstellungen: übersichtlich mit vielen netten und interessierten Menschen – und leckerem Essen. In diesem entlegenen Zipfel Myanmars treffe ich erstaunlicherweise auch auf einige Erwachsene sowie Kinder mit recht guten Englischkenntnissen. Das ist recht wichtig für mich, denn ich möchte mich nach meinen weiteren Reisemöglichkeiten erkundigen. Mein Plan ist, am nächsten Tag nach Bhamo, einer Stadt etwa 120 Kilometer nördlich im benachbarten Kachin State zu fahren. Angeblich soll die Straße jedoch für Ausländer gesperrt sein – so sagen es die Einheimischen. Mein Reisebüro behauptet, dass die Straße offen sei – und bietet, wie ich im Internet sehe, sogar Abenteuerfahrradreisen auf dieser Route an. Im Gegensatz zur Burma Road ist die Straße nach Bhamo jedoch eine unbedeutende. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Verbindung in den letzten Monaten geöffnet wurde ist daher relativ gering.
Da ich den Einheimischen nicht so recht Glauben schenke, mache ich mich auf den Weg. Fünf Kilometer nach Namkham passieren wir eine eindrucksvolle Hängebrücke und erreichen nach weiteren drei Kilometern den Kachin State. Meine Mitfahrgelegenheit lässt mich im nächsten Dörfchen raus. Ich versuche eine weitere Mitfahrgelegenheit zu finden – Fehlanzeige. Die Straße nach Bhamo ist tatsächlich gesperrt – diese Einheimischen müssen es wissen, sie wohnen direkt an der Straße. Auch der Grund wird mir mitgeteilt: Südlich von Bhamo liefert sich die Armee des Kachin States mit der Armee Myanmars Gefechte, denn auch Kachin State kämpft für mehr Autonomie. Ich laufe zur Polizeistation und erkundige mich nach Alternativrouten.

  • Alternative 1 wäre, zurück nach Mandalay zu fahren und entlang des Irrawaddy-Flusses nach Bhamo zu kommen. Diese Route würde einen Umweg von gut 1.000 Kilometern bedeuten und kommt aus zeitlichen Gründen nicht in Frage.
  • Alternative 2 wäre, über China nach Bhamo zu reisen. Auch diese Alternative kommt für mich nicht in Betracht, denn ein Visum für China habe ich nicht und eins für die erneute Einreise in Myanmar ebenso nicht.

Mir bleibt nichts anderes übrig als die gleiche Route, die ich die letzten 2 Tage hochgepilgert bin auch für den Rückweg zu nehmen.

Die netten Polizisten in der Polizeistation bestehen darauf, mir das Motorradtaxi zurück nach Namkham zu spendieren. Am Kontrollposten an der Hängebrücke werde ich unerwartet nach meinen Dokumenten gefragt. Auf dem Hinweg bin ich an diesem Kontrollpunkt „durchgeflutscht“ – man hatte mich schlichtweg im Auto übersehen. Nun wundern sich die Beamten, wo ich herkomme. Doch nach 5 Minuten ist alles geklärt. Es geht weiter nach Namkham und dann nach Muse. Um Zeit zu gewinnen entschließe ich mich für die gesamte Strecke zurück nach Mandalay – rund 380 Kilometer – den Bus zu nehmen. Abfahrt gegen 15 Uhr, geplante Ankunft gegen 6 Uhr am nächsten Morgen. Wir verlassen das Zentrum von Muse, durchqueren riesige Bauflächen direkt an der Grenze, wo unter chinesisch-myanmarischer Partnerschaft neue Bürogebäude und Shoppingmalls in die Höhe gezogen werden, stoppen dann am überdimensionierten Busbahnhof und fädeln uns wieder auf der Burma Road ein. Wieder quälen sich die Lkw Stoßstange an Stoßstange gen Mandalay und auch in die entgegengesetzte Richtung nach China. Der Busfahrer versucht in jeder Kurve die Lkw-Kolonne zu überholen.
Die Stewards haben mir meinen Nebensitz freigelassen – daher habe ich relativ viel Platz. Alle anderen Fahrgäste dagegen sitzen dicht an dicht. Ich richte mich auf eine angenehme Nachtfahrt ein. Ich kann tatsächlich relativ gut schlafen.
Als ich am nächsten Morgen aufwache ist es schon hell – wir müssten demnach Mandalay in Kürze erreichen. Ich versuche mich zu orientieren – was mir jedoch wegen der Ortsschilder in burmesischer Sprache nicht gelingt. Als wir an einer „Raststätte“ gegen 7 Uhr zum Frühstück halten, frage ich nach. Ein Fahrgast meint, dass wir gegen 9.30 Uhr in Mandalay ankommen würden. Der Steward geht gar vor 12.30 Uhr aus. So weit noch? Ankunft mit mehr als 6 Stunden Verspätung? Nach einer weiteren halben Fahrtstunde sehe ich, wo wir tatsächlich sind – nämlich tatsächlich noch sehr weit weg vom Zielort. Kein Wunder, dass ich gut geschlafen habe, denn der Bus hat sich in der Nacht kaum bewegt – wir standen im Stau. Eigentlich kann ich von Glück reden, dass es nur 6 Stunden Verspätung sind. Wie ich von Mitreisenden erfahre, war die Straße kürzlich wegen eines Unfalls blockiert – die Fahrgäste saßen 2 Tage fest. Alternativrouten gibt es in der unwegsamen Region keine.
Wieder herrscht in beide Richtungen enormer Schwerlastverkehr. Jetzt, bei Tageslicht erkenne ich, was die Lkw Richtung China geladen haben: Mindestens jeder dritter Lkw ist randvoll mit Wassermelonen geladen. Vor wenigen Wochen hatte ich einen Zeitungsartikel gelesen, der darüber berichtete, dass die Ernte in diesem Jahr besonders erfolgreich sei. Damals hatte ich mich gewundert, dass das Thema Wassermelonen Agrar- und Wirtschaftsminister beschäftigt und stolz Statements über den Erfolg der Ernte gegeben werden. Wie ich mich bei diesen Lkw-Kolonnen selbst überzeugen kann, stellen Melonen im landwirtschaftlich geprägten Myanmar einen erheblichen Wirtschaftsfaktor und ein bedeutendes Exportprodukt dar. Auf 380 Kilometern fahren die Lkw fahren die Lkw dicht an dicht und davon ist fast jeder dritte gefüllt Melonen. Ein erheblicher Warenwert, der sich täglich auf der Burma Road gen China bewegt.
Übrigens: Bis vor kurzem war geplant eine Eisenbahnstrecke parallel zur Burma Road zu bauen. Vermutlich weniger mit dem Ziel, günstig Wassermelonen zu exportieren, sondern vielmehr, damit sich China einen strategischen Zugang zur Andaman-Sea – der westlichen Küste Myanmars – sichern kann. Das hätte zeitgleich für China bedeutet, näher am Erzfeind Indien zu sein. Die Bürger in der Region fürchteten jedoch einen zu starken Einfluss durch die Chinesen und brachten das Projekt zu Fall. Vorerst, denn die einflussreichen Geldgeber und Bauunternehmen in Myanmar haben chinesische Wurzeln und sind an einer Verwirklichung des Projekts interessiert.
Genauso wie an diesem Beispiel zeigt sich an anderen Infrastrukturprojekten, wie entweder aus geostrategischen Gesichtspunkten anderer Länder oder zur Finanzierung des Militärregimes in Myanmar investiert wird.
Beispiel 1: In Myanmar wurden die Kapazitäten zur Gewinnung von Energie aus Wasserkraft in den letzten Jahren deutlich ausgebaut. Abgesehen von den sozialen und den ökologischen Folgen durch den Bau der Talsperren könnte diese Maßnahme als sinnvoll gesehen werden, da das an Energieknappheit leidende Myanmar mehr Energiesicherheit erreicht. Die Wasserkraftwerke wurden jedoch nicht dazu gebaut, um Myanmar mit Strom zu versorgen, sondern primär die Nachbarländer Indien und China. Viele ländliche Regionen in Myanmar sind weiterhin an mehreren Stunden des Tages ohne Strom. Was passiert mit den Einnahmen aus den Stromverkäufen? Ich kann nur spekulieren: Angesichts der extrem hohen Ausgaben für das Militär (manche Quellen sprechen von rund 25% des BIP) gehe ich nicht davon aus, dass die Einnahmen aus den Stromverkäufen den „normalen“ Bürgern in Myanmar zugute kommen.
Beispiel 2: Neben Teak und Jade ist Myanmar reich an Öl, das vor den Küsten in der Andaman-Sea lagert. Myanmar hat diese Ölvorkommen erschlossen, kann mangels geeigneter Technologie das Öl jedoch nicht selbst verarbeiten und verkauft es in andere Länder, um es dann teuer zu importieren. Großes Aufsehen erregte vor einigen Jahren ein Deal zwischen dem Militärregime und Thailand: Für mehrere Milliarden Dollar (genaue Zahlen erreichten die Öffentlichkeit nicht) versorgt Myanmar Thailand mit Energie – legitim, wenn nicht bis heute die Einnahmen direkt dem Militärregime zugute kommen würden. Dieser Deal hatte einen interessanten Effekt: Die Sanktionen, die gegenüber Myanmar ausgesprochen wurden, waren weitestgehend ohne Effekt, denn sie spielten im Vergleich zum Öldeal mit Thailand so gut wie keine Rolle. Nicht ohne Kritik blieb daher auch der Aufruf Aung San Suu Kyis, Myanmar als Urlaubsziel zu boykottieren. Es wäre fast egal gewesen, in welchen Scharen die Urlauber gekommen wären – die Einnahmen hätten nur einen Bruchtteil des Öldeals ausgemacht.

Zurück zu meiner Reise. Die Zeit drängt, ich möchte wegen meines abgelaufenen Visums Myanmar relativ schnell verlassen und reise ohne größeren Umweg Richtung Thailand. Bei meiner Fahrt gen Süden passiere ich die Hauptstadt Myanmars: Nay Pyi Taw. Leider habe ich keinen Aufenthalt eingeplant – auch wenn eine Stadtbesichtigung sicher eindrucksvolle Einblicke in die verrückte Welt der Militärjunta versprochen hätte. Nay Pyi Taw wurde erst vor kurzem in der Steppe aus dem Boden gestampft und übernahm 2005 die Funktion als Hauptstadt. Eine Stadt mit großen Palästen, breiten Straßen, und kaum Verkehr – das ist das, was ich gehört habe. Nay Pyi Taw stelle ich mir ähnlich surreal vor wie Asgabat, die Hauptstadt Turkmenistans.

Nach weiteren eineinhalb Tagen Reise durch den Dschungel, der sich entlang der Küste und der thailändischen Grenze erstreckt, erreiche ich Dawei – eine Hafenstadt, die, genauso wie alle Gebiete südlich davon, bis vor wenigen Jahren für ausländische Touristen nicht zugänglich war. Meine letzte Etappe führt von Dawei erneut quer durch den Dschungel an die thailändische Grenze in Hti Khee. Der Weg dorthin und der Grenzübergang selbst demonstrieren sehr deutlich, wie sich Myanmar mehr und mehr öffnet: Einerseits, weil der Grenzübergang erst 2014 eingerichtet wurde – zeitgleich damit die etwa 100 Kilometer lange Schotterpiste durch den Dschungel. Andererseits, weil Plakate die weitere Zukunft projizieren: Es wird zu einem Vortrag zum „Environmental und social impact“ einer vierspurigen Straße zwischen Dawei und Thailand eingeladen.
Die Gegenwart in dieser entlegen und unzugänglichen Region sieht derzeit noch anders aus: Unter freiem Himmel bei ca. 35 Grad graben an Teilen entlang der Schotterpiste Männer und (!) Frauen – möglicherweise nicht freiwillig – mit Hacke und Schaufel einen kleinen Graben und verlegen eine Wasserleitung.

Persönlicher Rückblick und Perspektive: Myanmar – ein Land im rasantem Wandel

Ohne Zweifel – Myanmar befindet sich im Wandel. Mit der National League of Democracy als neuer Regierungspartei wird der Demokratisierungsprozess weiter vorangetrieben. Doch mehrere Jahrzehnte mit einer Militärdiktatur haben ihre Spuren hinterlassen. Entscheidungen aus dieser Zeit lassen sich – insb. vor dem Hintergrund, dass die Militärjunta in der Politik und Wirtschaft weiterhin präsent ist – nicht von heute auf morgen revidieren.

Die Öffnung für den Tourismus wird das Land und die Menschen – meiner Meinung nach – erheblich beeinflussen. Nach Jahren der Abschottung sind die Menschen extrem neugierig. Da sich die meisten Myanmarer Reisen, insb. in das Ausland, nicht leisten können, sind die Touristen, die in das Land kommen die erste Informationsquelle. Andersherum gesehen sind die Myanmarer die größte Ressource des Landes. Genau sie sind es, die meine Reise durch Myanmar angenehm gemacht haben und einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Stets freundlich, lächelnd und zurückhaltend interessiert.
Im Moment befindet sich dieses Geben und Nehmen gefühlt im Gleichgewicht. Nach Myanmar verschlägt es vorwiegend die Touristen, die tatsächlich an dem Land und an den Leuten interessiert sind – und nicht an billigem Urlaub – in vielerlei Hinsicht. Doch ich fürchte, dass dieses System in 2 bis 4 Jahren kippen wird, und zwar dann, wenn der Massentourismus aus Thailand nach Myanmar überschwappen wird. Die Sorge ist nicht unbegründet, denn landschaftlich und kulturell kann Myanmar auf jeden Fall mit Thailand mithalten. Wenig verwunderlich ist, dass die Zahl der ausländischen Gäste in Myanmar derzeit jährlich im mittleren zweistelligen Bereich wächst. Reisten 2010 rund 800.000 Urlauber nach Myanmar, waren es 2015 fast 5 Millionen.
Dieses „Kippen“ führe ich darauf zurück, dass mit dem Massentourismus übermäßig viele Verhaltensweisen nach Myanmar „eingeschleppt“ werden, die mit der eher konservativen Kultur nicht vereinbar sind. Um ein Beispiel zu nennen: Bei den unumstritten hohen Temperaturen während der Trockenzeit zeigen sich manche ausländische Männer in der Öffentlichkeit aus Unwissenheit oberkörperfrei. Für einen Myanmarer ist das ein No-Go, doch aus Höflichkeit würde ein Einheimischer nie den Gast auffordern, sich adäquat zu bekleiden. Vielmehr würde er den Ärger schlucken.
Abseits dieser kulturellen Unterschiede bringt der (Massen-)Tourismus mit sich, dass ausländische Touristen vermehrt als Finanzquelle gesehen werden. Legitim, wenn da nicht die Extremformen („Abzocke“) wären. Zweimal hatte ich in Myanmar das Gefühl, über das Ohr gehauen zu werden – was für einen fünfwöchigen Aufenthalt eine ganz gesunde Quote sein dürfte. Die Fälle kamen an von Touristen stark frequentierten Orten vor, demnach an den Plätzen, die Kurzzeiturlauber am ehesten ansteuern. Mich haben diese Fälle sehr geärgert, nicht, weil ich dadurch etwas Geld in Sand gesetzt habe, sondern vielmehr, weil wenige schwarze Schafe ein ganzes Volk als „Abzocker“ dastehen lassen können (vergleichbar mit dem Bild, das viele Reisende von Indien haben). Der Massentourismus wird zwangsläufig mit sich bringen, dass sich Reisende weiterhin an den Hotspots („Coca-Cola-Route“) aufhalten und damit auch den schwarzen Schafen in die Arme laufen. Die Chance, beim Massentourismus ein umfassendes Bild von Land und Leuten zu bekommen ist relativ gering. Negative Vorurteile würden Myanmarern jedoch alles andere als gerecht werden.

Meine Gedanken sind Spekulationen. Ich hoffe, dass die Menschen in Myanmar ihre Menschlichkeit behalten. Wie man meinen Worten sicherlich anmerkt, bin ich begeistert von Land und Leuten. Begeistert davon, dass mich tatsächlich jeder Myanmarer wahrnimmt – was sich sehr deutlich am Lächeln ausgedrückt hat. Das gab mir ein sehr starkes Gefühl des Willkommenseins.