Da stehe ich nun. In Pakistan, genauer: Taftan. Vor mir liegt eine staubige Straße und bislang wollte auch noch keiner meinen Pass sehen. Zu meiner Rechten sehe ein Hütte. Ich gehe hin und gebe den freundlich lächelnden Männern meinen Reisepass. Sie sind aber nur mit einem Notizbuch ausgestattet, in das sie meine Reisepassnummer eintragen. Wo wird denn jetzt meine Einreise formal dokumentiert? Die Männer weisen mir den Weg zu einer weiteren Hütte. Dort sehe ich vor einem Eisentor eine Traube aufgebrachter Pakistaner. “Das kann ja lustig werden” schießt mir durch den Kopf und ich stelle mich einfach dazu. Es vergeht keine Minute, dann zieht mich ein Aufseher an den aufgebrachten Personen vorbei in einen Vorraum, lässt mich ein Formular ausfüllen und schickt mich dann ich in den zentralen Raum zur Passkontrolle. Der Raum ist wesentlich spartanischer als das iranische Grenzkontrollgebäude. Doch es geht alles ganz schnell. Nach 10 Minuten bin ich auch formal in Pakistan angekommen.
Ich verlasse diese Hütte, werde erstmal von Geldwechslern umlagert, doch entkomme dieser Situation schnell, da mich ein weiterer Mann bittet, auf sein Moped zu steigen. Irgendwie vertraue ich im blindlinks, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich eh keine bessere Option in Taftan habe. Wohlgemerkt: Lonely Planet bezeichnet diesen Wüstenort als ‘Hell on earth’. Ich bin also auf das Schlimmste schon vorbereitet. Nach wenigen Mopedminuten fahren wir in einen mit alten Fahrzeugen vollgestellten Hof, der hufeisenförmig von Gebäuden umschlossen ist. “Pakistan Levies Taftan” steht an der Stirnseite. Das Gebäude ist von zwei großen Mauern umschlossen.
Ich werde in einen Raum geführt, von einem freundlichen jungen Mann willkommen geheißen und gefragt, wo ich herkomme und wo ich hinmöchte. In einem Notizbuch werden mein Name und die Reisepassnummer dokumentiert. Zu meiner Überraschung sagt er dann, dass auch ein anderer Deutscher da sei und deutet auf den Nebenraum. Tatsächlich, in dieser ‘Hell on earth’ treffe ich auf Robert. Robert radelt von seinem oberbayrischen Heimatort Miesbach nach Australien (sein Blog: www.worldomania.de). Wir verstehen uns auf Anhieb, haben viel zu erzählen und es tut gut, sich über alles, was hier so passiert auszutauschen. Er klärt mich auf, dass ich in einer Polizeistation gelandet bin (Anmerkung: Korrekterweise müsste es heißen, dass wir bei der Levies sind und nicht bei der Polizei. Die Levies ist ein Zwischending zwischen Armee und Polizei: Zum einen kampfbereit, zum anderen die Zivilbevölkerung schützend). Schon am Vortag ist er in Taftan angekommen, dürfte aber nicht weiterfahren. Erstens, weil er nicht unbegleitet die 606 Kilometer nach Quetta zurücklegen darf, sondern von der Polizei eskortiert werden muss. Zweitens, weil die Straße gesperrt sei. Wilde Gedanken schießen uns durch den Kopf: Gab es etwa Überfälle von Terroristen? Der mich zuerst interviewende Mann (der, wie ich nun weiß, Polizist ist – in Pakistan erkennt man das nicht gleich) bestätigt, dass es erst am nächsten Tag weitergehen wird. Gut, durch die eineinhalb Stunden Zeitverschiebung ist es eh schon kurz nach 13 Uhr. Robert meint, die Polizisten wären alle sehr nett, und so ist es auch: Wir machen uns es auf der Terrasse bequem, werden reichlich mit Essen versorgt, es ist schön warm. Andere fliegen nach Malle, um Sonne zu genießen und verwöhnt zu werden, wir haben das umsonst in Taftan in Pakistan. Zusätzlich erfreut sich ein Polizist am WD40, das Robert mitgebracht hat und schmiert ausgiebig seine MG damit.
Unser Ausgang ist jedoch beschränkt: Nur beim Stichwort “Shopping” öffnen sich die Tore. Wir werden zum 100 Meter entfernten Supermarkt begleitet, der wegen seiner baulichen Beschaffenheit nicht als solcher zu erkennen ist, sondern eher einer Karton- und Holzhütte gleicht. Drumherum stapelt sich zudem Unrat. Beim Öffnen des Türchen erblickt man wider Erwarten eine große Vielfalt an Drogerieprodukten und Lebensmitteln. Nach der ausgiebigen Shoppingtour kehren wir wieder zurück in unsere sichere Unterkunft.
Überraschenderweise höre ich gegen 15.30 Uhr einen Zug nicht weit von der Polizeistation. Fährt mein Zug also doch? Von der Zeit würde es passen. Andere Züge kann es hier kaum geben – wir sind mitten in der Wüste. Vielleicht begann er nicht in Zahedan, sondern kurz vor der Grenze in Mirjaveh oder hier in Taftan. Ich frage den Polizisten, ob ich denn mal schauen könne, doch er wiegelt ab. Was wohl in seinem Kopf vorgeht? “Die Deutschen sind schon komisch: Wir kümmern uns um deren Sicherheit und die wollen unsere alten pakistanischen Züge anschauen.” Ein bisschen verständlich. So bleibt das Zugrätsel (vorerst) ungelöst.
Die Urlaubsfreude wird am Abend etwas getrübt – Robert hatte mich schon vorgewarnt, denn das Gleiche passierte am Vorabend auch: Es ist gegen 19.45 Uhr, also schon seit etwa 2 Stunden dunkel. In den Hof werden ca. 40-50 Männer gebracht. Die Männer haben meist einen kleinen Rucksack bei sich, die Meisten tragen Schlappen, die anderen sind barfuß. Sie setzen sich in Reih und Glied in den staubigen Hof. Es ist mucksmäuschenstill. Den Gesichtsausdruck einiger dieser Männer werde ich nicht so schnell vergessen: hoffnungslos und traurig. Bei diesen Männern handelt es sich um Pakistaner, die entweder beim illegalen Grenzübertritt erwischt oder im Iran ohne Papiere aufgegriffen wurden. Sie werden nun registriert. Was anschließend mit den Flüchtlingen passiert wissen wir nicht. Weil diese Situation für uns unangenehm ist und wir von der Terrasse nicht wie Gaffer oder Imperialisten rüberkommen wollen, ziehen wir uns in den Gemeinschaftsraum der Polizisten zurück und schauen mit denen zusammen chinesische Thriller und Hollywood-Filme und werden wieder mit Essen versorgt. Es stellt sich wieder dieses komische “Flüchtlingsgefühl” ein, das ich bereits auf dem Balkan hatte: Ungerechtigkeit, Hilflosigkeit. Uns wird zudem bewusst, dass wir eine Flüchtlingsroute komplett bis an den Ursprung gefolgt sind. Zudem frage ich mich, wie man barfuß und mit so wenig an Hab und Gut durch die Wüste kommt – ich käme keine 5 Kilometer.
Ab und an hören wir es klatschen. Wir schauen raus und sehen drei hockende Männer mit dem nacktem Rücken/Hintern, die Hände unter den Oberschenkeln zusammengebunden. Da wir das Schlimmste ahnen und uns diese Tragödie nicht anschauen wollen, gehen wir wieder schnell in den Aufenthaltsraum zurück. Wir begreifen das nicht und fragen die Polizisten, was die Männer angestellt hätten. Im Gegensatz zu den Flüchtlingen handelte es sich bei diesen Männern tatsächlich um Kriminelle, denn sie haben auf dem Basar gestohlen. Sie werden anschließend in Handschellen abgeführt. Die Flüchtlinge dagegen werden in zwei großen Räumen untergebracht, können sich aber im Innenhof der Polizeistation frei bewegen.
Mit einem Pakistaner, der ohne Aufenthaltserlaubnis im Iran erwischt wurde, komme ich kurz ins Gespräch: Er wurde von Schleppern über die „grüne“ Grenze gebracht und hat dann seine Verwandten in Tehran und Mashhad besucht. Ob er noch ein weiteres Ziel hatte, bekomme ich nicht heraus. Gegen 23.15 Uhr kehrt Ruhe auf der Polizeistation ein. Wir gehen schlafen.
Hallo Ferry!
Danke für deine ersten Berichte, ich hatte gerade die Muße sie zu lesen. Bin gespannt, wie es weitergeht! Pass auf dich auf und weiterhin gute Reise!
Liebe Grüße, Hendrik