Während des Sonnenuntergangs legt die Fähre in Mostaganem, einem kleinen Hafenstädtchen im nordwestlichen Algerien ab, bereits zum Sonnenaufgang erreichen wir Valencia/Spanien. Zwischen dieser Nachtfahrt liegen in vielerlei Hinsicht Welten. Was mich in Algerien am meisten beeindruckt hat, fasse ich nun zusammen:
Gastfreundlichkeit
Eigentlich war es voraussehbar: Wie so häufig in muslimisch geprägten Ländern wurde uns eine sensationelle Gastfreundschaft entgegengebracht. Über Couchsurfing haben wir die ersten Kontakte geknüpft und so den Zugang zu den lokalen Familien hergestellt. Doch beim reinen zur Verfügung stellen einer Schlafmöglichkeit blieb es nie: Wir waren Teil der Familie und dürften an den regulären Mahlzeiten teilnehmen. Waren wir in Restaurants essen, wurden wir eingeladen – die Rechnung zu übernehmen war ein aussichtsloses Unterfangen. Unsere Gastgeber waren stets schneller. Darüber hinaus wurden wir zum Sightseeing vor Ort durch die Gegend chauffiert. Häufig wurde für uns die Weiterreise organisiert. Falls diese im Morgengrauen anbrach, wurden wir auch zum (Bus-)Bahnhof gebracht.
Frauen und Männer
Im Iran bin ich es gewöhnt, Frauen in der Öffentlichkeit zu begegnen. Nicht so in Algerien. Das Straßenbild wird – mit Ausnahme von Algiers – sehr augenscheinlich von Männern dominiert. Das fiel mir insbesondere an einem Samstag Abend auf dem zentralen Platz von Bejaia (200 Tsd. Einwohner) auf: Es war keine einzige Frau zu sehen.
Das etwas andere Verständnis zur Rolle der Frau wurde uns auch im Gespräch mit einzelnen Männern (meist Freunde der Gastgeber) bewusst: Für Unverständnis sorgte bspw. unsere Frage, warum er (also der Mann, mit dem wir uns verabredeten) nicht seine Frau zu unserem Treffen mitgebracht habe. Oder warum er seine Frau nicht auf Reisen mitnehme. Die Antworten waren vielfältig, aber nicht zufriedenstellend: Die Frau sei schüchtern, sie würde sich nicht für Treffen solcher Art interessieren, usw.
Tourismus
In Algiers kam ich aus dem Staunen nicht mehr raus: Eine ruhige Altstadt (Casbah) mit verwinkelten Gässchen – gleich neben dem wuseligen Großstadtleben zwischen den französischen Kolonialbauten. Die Stadt gehört definitiv zu den 10 faszinierendsten Städten, die ich gesehen habe. Ebenfalls einzigartig war Constantine, die Stadt der Brücken. Trotz dieser und zahlreicher anderer Attraktionen liegt der Tourismus in Algerien brach. In Algiers ist mir eine asiatische Reisegruppe über den Weg gelaufen, in Constantine habe ich Ricardo und Laura aus Portugal kennen gelernt. Mehr Touristen haben wir während des gesamten Aufenthalts in Algerien nicht wahrgenommen.
Müll
Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: Algerien gehört zu den am meisten vermüllten Ländern, die ich kenne. Die Dünen der Sahara schieben Plastiktüten und Plastikflaschen vor sich her. Die Strände des Mittelmeers, an denen ich entlang gefahren bin, gleichen Müllkippen. Selbst in Nationalparks sind die Straßenränder übersät mit Müll. Dass Algeriens Bevölkerung so sorglos mit mindestens dieser Umweltfrage umgeht, wundert mich: Ich hätte vermutet, dass wegen des nahen Europas und des weiterhin engen Austauschs mit Frankreich Verhaltensweisen und auch Technologien in Algerien angenommen würden, die dieses Problem in den Griff bekommen. Davon habe ich leider nichts wahrgenommen. Ich schätze, dass Algerien nicht nur wegen der Sicherheit, sondern auch wegen dieses Problems einige Zeit benötigen wird, ein etabliertes Reiseland zu werden.
Nadji (Mitte) und Tahar (links) haben uns einen grandiosen Empfang in Algerien beschert: Durch die beiden haben wir Tebessa kennengelernt und viele Tipps für die Weiterreise bekommen. Sie sorgten für eine tolle Überraschung bei unserer Abreise, als sie uns eine riesige Box mit Konfekt überreichten.
Sofort Freunde mit der ganzen Belegschaft und den Gästen in diesem Fastfood-Restaurant in Tebessa
Die Kontraste zwischen konservativer und moderner Welt sind uns bei Sinou (links von mir) und seiner Familie deutlich geworden: Konservativ deshalb, weil die herzliche Mama das Gespräch mit den weiblichen Gästen bevorzugte. Modern, weil Sinou gleich nebenan einen flippigen Outdoorladen eingerichtet hat, wo er sporadisch in Europa eingekauftes Sportequipment verkauft.
Aziza habe ich in Touggourt kennengelernt. Gleich zu Beginn erzählte ich ihr, dass meine Eltern 1981/82 in Touggourt gelebt haben, und sie meinte: „Zeig mir doch ein paar Bilder!“ Beim genauen Betrachten eines Bildes, das meinen Papa, meinen Bruder, Kollegen und örtliche Vertreter zeigte, rief sie: „Der Mann dort, fast neben deinem Papa: Das ist mein Onkel!“ Was für ein Zufall!
Besagtes Bild von 1981 oder 1982: ganz rechts mein Papa, ganz links mein Bruder, Dritter von rechts Azizas Onkel, Herr Boulifa.
Herrn Boulifa haben wir spontan besucht und ihn mit auf die Spurensuche genommen. Hier betrachtet er das Bild direkt vor der Klinik, in der mein Papa 1981/82 wirkte. Rechts daneben Aziza und ihr Bruder Walid.
Azizas Bruder Walid – ein echt dufter Typ, entspannt und lustig
Unterwegs mit Walid in der Sahara
Walid und Töchterchen Marijam
Couscousessen bei Azizas und Walids Familie
Laura und Ricardo aus Portugal habe ich beim Couchsurfen in Constantine kennengelernt. Wir haben uns so gut verstanden, dass wir uns nochmal in Algiers getroffen haben. Reflektierte Reisende, die allerhand spannende Storys auf dem Kasten haben.
Meine Gastgeber in Constantine: Billel und Töchterchen Hasher (Mitte); links und rechts Laura und Ricardo aus Portugal
Schnappschusses mit Hasher
An den Namen dieser Dame aus Bejaia kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Unvergesslich bleibt mir jedoch ihre extreme Heiterkeit und die Offenheit, die ganz und gar nicht in die konservative Umgebung passte. Von ihrer Dachterrasse boten sich tolle Ausblicke auf die Hafenstadt.
Jamila, die in Algiers kennenlernen dürfte.
Jacine, mein Gastgeber in Algiers (links von mir) und seine drei Mitbewohner
Rossmann, dm und Müller gibt es in Algerien nicht. Das, was bei uns große Lagerhallen an Autobahnen übernehmen, spielt sich in Algerien mitten in den Städten ab: In Algiers gibt es einen Stadtteil, der sich nur der Lagerung und Umsortierung von Drogerieartikeln widmet. Ein Drogeriegroßhändler reiht sich hier an den anderen. Jacine, mein Gastgeber in Algiers (mittig) arbeitet hier als Lagerist.
Bei Jacine auf der Arbeit
Tschüss Afrika! Wir haben gerade in Mostaganem (Algerien) abgelegt und nehmen nun Kurs auf Valencia (Spanien). Wieder schwingt dieses seltsame Gefühl mit: Für diese Überfahrt riskieren tausende von Menschen ihr Leben und versuchen, in Schlauchbooten Europa zu erreichen. Ich hingegen habe mich problemlos durch die algerische Immigration gestempelt und schippere im Nachtsprung mit der spanischen „Regina Baltica“ hinüber nach Europa.
Beim Verlassen des Schiffs in Valencia
Beim Verlassen des Schiffs in Valencia
Nach der Ankunft in Valencia geht es auf dem Landweg weiter: Mit Hochgeschwindigkeit zunächst nach Madrid…
… und dann mit dem Regionalzug weiter nach Lissabon.
In der Nähe der spanisch/portugiesischen Grenze auf dem Weg nach Lissabon
… und schon wieder zurück in Spanien, genauer Barcelona. Warum ich dieses Bild ausgewählt habe? – Weil mich die Zugbegleiterin links (mit Brille) durch ihre außerordentliche Kundenorientierung überzeugte. Wegen der Verspätung meines Nachtzugs aus Lissabon hatte ich in Madrid meinen Zug nach Barcelona verpasst. Mit dem folgenden Zug hatte ich einen recht knappen Übergang in Barcelona zum TGV nach Frankreich, der auch nur zwei Mal am Tag fährt. Die Zugbegleiterin des Zugs Madrid-Barcelona erkannte (trotz fehlender Englischkenntnisse) meine missliche Lage, informierte vorab ihre Kollegen in Barcelona und brachte mich später persönlich (!) zum Anschlusszug. Das ist doch ein Service!
Gerade noch geschafft: der TGV von Barcelona nach Paris
Wie schön es ist, alte Bekannte wiederzusehen: Anne-Laure hatte ich im August 2013 auf meiner ersten Iranreise kennengelernt, damals sind wir abschnittsweise zusammen gereist. Sie lebt nun in Grenoble, in den französischen Alpen. Müßig zu erwähnen, dass wir aus dem Erzählen nicht mehr hinauskamen.
Unterwegs zwischen Grenoble und Geneve am Lac du Bourget
Umsteigen in Geneve
Ankunft in Dresden – wieder daheim!
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